Titel: Reden
Author:

Druckversion

 

Neujahrsansprache des Thüringer Ministerpräsidenten Dieter Althaus



Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!

 

2005 war ein Jahr, das in Deutschland durch heftige politische Auseinandersetzungen geprägt war. Am Ende haben sich die beiden großen Volksparteien auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, der Anlass zu der Hoffnung gibt, dass die neue Bundesregierung bessere Rahmenbedingungen für Wachstum und mehr Arbeitsplätze schaffen wird. Die hohe Arbeitslosigkeit ist und bleibt unsere Hauptsorge. Auch meine. Es muss uns darum gehen, dass Menschen, die Arbeit suchen, Chancen bekommen, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.

 

Auch im letzten Jahr hat die Thüringer Wirtschaft sichtbare Fortschritte gemacht. Wir haben erfolgreiche mittelständische Betriebe, die sich mit ihren Produkten auf den Weltmärkten behaupten. Ich staune oft, mit wie viel Engagement und Know-how sie sich ihre Erfolge erarbeiten.

 

Aber trotz dieser guten Entwicklung fehlen in Thüringen noch immer fast 200.000 Arbeitsplätze. Das heißt: Wir brauchen noch mehr solcher Unternehmen, und die vorhandenen müssen wachsen. Hohe Qualität in Bildung und Ausbildung sowie erfolgreiche Forschung und Entwicklung sind für den Erfolg dieses Weges entscheidend. Die Landesregierung hat ihre Förderpolitik darauf eingestellt – mit neuen Instrumenten, die Existenzgründern und aufstrebenden Unternehmen helfen. Ich rufe alle auf, die gute Ideen haben: Zögern Sie nicht, diese Unterstützung anzunehmen und neue oder auch weitere Arbeitsplätze zu schaffen!

 

Ich sehe meine wichtigste Aufgabe darin, unser schönes Land noch attraktiver zu machen – nicht nur für Investoren, sondern auch für junge Leute und insbesondere für Familien. Diesem Ziel dient die Thüringer Familienoffensive. Im Kern geht es darum, die Mittel gezielter für Kinder und Familien einzusetzen: durch die Umwandlung des bisher einkommensabhängigen Landeserziehungsgeldes in ein einkommensunabhängiges Thüringer Erziehungsgeld, durch eine transparente, gerechte, an der Zahl der Kinder orientierte Kindergartenförderung, durch eine zusätzliche kommunale Investitionspauschale für jedes neugeborene Kind und durch die neue Stiftung FamilienSinn.

 

Mir war klar, dass dieses Vorhaben auch Widerspruch hervorrufen würde, denn wer Strukturen verändert, erntet immer Protest von denen, die die Strukturen beibehalten möchten. Aber es ist die Aufgabe der Politik, zu handeln, wenn sie Handlungsbedarf sieht.

 

Ich versichere Ihnen: Ich werde die Umsetzung des Familienfördergesetzes begleiten und mit den Betroffenen im Gespräch bleiben. Die Sorge, die Kinderbetreuung könnte in Thüringen Schaden nehmen, ist, davon bin ich überzeugt, unbegründet. Im Gegenteil: Die Familienoffensive wird zu mehr Kinder- und Familienfreundlichkeit in Thüringen führen. Zusammen mit den guten Ergebnissen in der Bildung ist dies entscheidend für die Zukunftsfähigkeit Thüringens.

 

Vor wenigen Tagen hat der Landtag den Landeshaushalt für 2006 und 2007 verabschiedet. Es ist ein Etat, der durch harte Einschnitte gekennzeichnet ist, weil wir nicht noch mehr Schulden machen dürfen. Wir werden diesen Sparkurs, so schmerzhaft er für viele sein mag, fortsetzen, um mittel- und langfristig wieder mehr Gestaltungsspielräume zu schaffen. Auch wenn demnächst die Steuereinnahmen wieder steigen sollten, werden wir zusätzliche Mittel grundsätzlich zur Reduzierung der Neuverschuldung einsetzen. Wir machen das nicht, um jemanden zu ärgern. Sondern weil wir Verantwortung für die heutigen wie die kommenden Generationen tragen.

 

Ich bin zuversichtlich, dass es uns trotz der Sparmaßnahmen mit den neuen Akzenten in der Wirtschafts-, der Bildungs- und der Familienpolitik gelingt, die Lebensqualität in Thüringen noch weiter zu erhöhen. Eine Lebensqualität im übrigen, um die uns heute schon viele beneiden. Thüringen, das ist eine unvergleichliche Mischung aus Kultur und Natur, aus Traditionsbewusstsein und Innovationsbereitschaft, aus Lebensfreude und Kreativität. Und Thüringen ist ein sicheres Land. In den 15 Jahren seit der Wiedervereinigung haben wir viel erreicht. Ich danke allen, die – ganz gleich, auf welchem Gebiet, ehrenamtlich oder beruflich – dazu beigetragen haben. Gemeinsam werden wir auch den weiteren Weg erfolgreich gehen. Lassen Sie uns die Chancen der Freiheit nutzen!

 

Ich wünsche Ihnen ein gesundes, ein glückliches und ein erfolgreiches Neues Jahr!

 


Rede des Vorsitzenden der CDU Thüringen und Thüringer Ministerpräsidenten Dieter Althaus



auf dem 20. Landesparteitag am 03. Dezember 2005 in Altenburg

 

Als wir uns zu diesem Parteitag Ende letzten Jahres verständigt haben und auch die Entscheidung getroffen haben, ihn hier, im Landkreis Altenburger Land, im Kreisverband Altenburg, durchzuführen, standen für das Jahr 2005 vor allen Dingen Gestaltungsaufgaben in der Landespolitik auf der Tagesordnung. Wir hatten uns vorgenommen, ausgehend von der Wahlkampfdiskussion, ausgehend von der Regierungserklärung, wichtige Inhalte für diese Legislaturperiode umzusetzen, um damit die Weichen für eine gute Zukunft in Thüringen zu stellen.

Es ist alles anders gekommen: Wir haben am 22. Mai in Deutschland – wie es neulich in einer Diskussion ein Diskussionspartner gesagt hat – das Ende der 68er erlebt. Wir haben einen Bundeskanzler erlebt, der am Abend der Nordrhein-Westfalen-Wahl erklärt hat, dass er die Vertrauensabstimmung im Bundestag beantragen wird und für Neuwahlen plädiert, um sich von den Wählern erneut das Vertrauen geben zu lassen – für die nach seiner Auffassung zukunftsfähige Politik von Rot-Grün.

Es mag sein, dass das Wahlergebnis, das uns am Abend des 18. September alle erreichte, jeden von uns auch ein Stück enttäuscht hat, weil der wirkliche Wechsel von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb nicht gewählt worden ist. Aber das, was wir in der letzten Woche als Ergebnis schwieriger Koalitionsverhandlungen erleben durften, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung eine Frau Bundeskanzlerin ist, eine Frau der CDU, eine Frau mit der Lebenshistorie hier in den neuen Ländern, das darf uns sehr erfreuen. Wir sind dankbar und stolz, dass Angela Merkel jetzt unsere Bundeskanzlerin ist!

Wenn man sich die 150 Seiten des Koalitionsvertrages anschaut, dann mag es vielleicht schwerfallen, genau den roten Faden oder die klare Linie zu erkennen. Aber eines ist ganz klar, und das hat die Regierungserklärung unserer Bundeskanzlerin am Mittwoch noch einmal sehr nachdrücklich deutlich gemacht: Diese Bundeskanzlerin ist nicht angetreten, um ein „Weiter so“ zu organisieren, sondern sie ist angetreten, um die Möglichkeiten, die Kräfte Deutschlands, die unbestritten vorhanden sind, die Fundamente, auf denen Deutschland steht, und die Werte, die Deutschland stark gemacht haben und aus denen auch die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes möglich geworden ist, wieder zu nutzen.

Die Werte Menschenwürde, Freiheit und Gerechtigkeit, die Orientierungsprinzipien Subsidiarität, Solidarität und Gemeinwohl auch wieder in der Ordnungspolitik Deutschlands – innen wie außen – deutlich werden zu lassen, das ist für Angela Merkel eine ganz zentrale Aufgabe. Und wenn es noch Zweifel daran gab, dann hat die Regierungserklärung eindrucksvoll deutlich gemacht, dass genau diese grundsätzliche Orientierung, aus der die Soziale Marktwirtschaft entwickelt wurde, das Leidbild von Angela Merkel ist. Sie hat im Deutschen Bundestag am Mittwoch deutlich formuliert: „Lassen Sie uns mehr Freiheit wagen.“

Genau darauf kommt an: Den Staat in Deutschland wieder zurückzubauen, die Verantwortungen im Kleinen, vor Ort, wieder herauszufordern und zu fördern, die Familie wieder wertzuschätzen und sie mit Vorfahrtsregeln zu versehen – und die Menschen nicht länger in dem Trugschluss zu lassen, als könne der Staat, als könne der allumsorgende Staat für Wohlfahrt sorgen. Wir sind es vor allen Dingen, jeder einzelne, der für Wohlfahrt, für Wohlstand und für den Sozialstaat Verantwortung trägt. Deshalb sollten wir den Beginn der neuen Legislaturperiode nicht mit dem in Deutschland üblichen Pessimismus, mit der in Deutschland üblichen Larmoyanz begleiten, sondern wir sollten helfen, in die Speichen greifen und das Rad mitdrehen, damit wir wieder mehr Zukunft bekommen, damit auch die Thüringer Entwicklung wieder Rückenwind bekommt.

Deutschland hat Chancen, und wir sind in Europa wegen dieser Chancen auch gefordert. Und wenn Angela Merkel sagt, dass sie erreichen möchte, dass Deutschland wieder unter die ersten drei in Europa kommt und nicht – wie derzeit – auf dem letzten Platz verharrt, dann ist das eine klare Perspektive.

Genau deshalb habe ich mich auch in diesen Wochen intensiv mit bemüht, einen solchen Koalitionsvertrag auszuhandeln, nach 39 Jahren wieder eine Große Koalition auf den Weg zu bringen. Es macht keinen Sinn, einem nicht erreichbaren Ziel hinterher zu trauen, sondern es macht Sinn, die Chancen, die wir haben, auch zu nutzen.

Wenn die Menschen in diesem Land sich nicht entschieden haben, ob sie den Wechsel wollen oder ob sie lieber den Gleichklang und den alten Gang wollen, dann sollten wir die Chance nutzen, die darin liegt, dass die Union in dieser Großen Koalition die Bundeskanzlerin stellt, dass sie entscheidende Ressorts besetzt und dass wir auf Landesebene in elf Länder die Ministerpräsidenten stellen. Wir sollten helfen, dass das, was Deutschland kann, was Deutschland als Stärke hat, auch wieder als Stärke erkennbar wird: für uns in Thüringen, für Deutschland, aber auch für Europa.

Deshalb begleite ich diese Große Koalition nicht nur mit großer Sympathie, sondern ich möchte, dass sie Erfolg hat, weil der Erfolg der Großen Koalition nicht nur ein Erfolg für Deutschland ist, sondern es wird auch ein Erfolg für Angela Merkel und für die CDU Deutschlands sein.

Ich will auf die Details nicht eingehen, weil ich denke, dass jeder von Ihnen in den letzten Tagen und Wochen schon sehr viele dieser Details verfolgt hat. Entscheidend ist, dass wir umsetzen, was an Möglichkeit in diesem Koalitionsvertrag steht. Aber entscheidend ist auch,  dass wir diese Entwicklung positiv begleiten und dass wir sie aktiv unterstützen.

Ich dankbar für die Mannschaft, die dies für uns aus Thüringen in Berlin in Zukunft macht. Anders als gemeldet, spielen wir eine Rolle – inhaltlich – und tragen besondere Verantwortung in der Fraktion. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass Manfred Grund wieder Parlamentarischer Geschäftsführer ist. Er ist mit dem besten Ergebnis von allen Parlamentarischen Geschäftsführern der CDU/CSU Bundestagsfraktion gewählt worden. Herzlichen Glückwunsch, Manfred! Er ist gleichzeitig Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Wie wichtig die Außenpolitik ist, das brauchen wir – glaube ich – in diesen Tagen gar nicht näher zu begründen. Europa steckt in einer der schwierigsten Situationen in der Nachkriegsgeschichte, und die vielen notwenigen Entscheidungen im Blick auf diese Gestaltungsaufgabe, aber auch im Blick auf die Gestaltungsaufgabe mit den anderen Nachbarn im Osten wie im Westen, in Asien und der ganzen Welt verlangen klare inhaltliche Konzeptionen.

Ich bin auch dankbar, dass Bernward Müller zukünftig die Bereiche Wirtschaftliche Zusammenarbeit, Entwicklungshilfe und Tourismus bearbeitet. Letzteres ist ein wichtiges Wirtschaftsfeld auch für Thüringen.

Dass Antje Tillmann bei dem ganz wesentlichen Thema Finanzen Verantwortung trägt, ist wichtig, ebenso dass Volkmar Vogel für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zuständig sein wird – wie wir wissen, für uns ein ganz zentrales Feld mit wachsender Bedeutung in den nächsten Jahren.

Und wir sind dankbar, dass der Neue, der aber in der Thüringer Union bereits über viele Jahre als Bürgermeister Verantwortung getragen hat, dass Peter Albach für Gesundheit zuständig sein wird. Ein schwieriges Thema, weil wichtige Reformen voranzubringen sind.

Diese fünf Abgeordneten, von denen drei ihren Wahlkreis direkt gewonnen haben, sind unsere Mannschaft in Berlin. Allen fünfen wünsche ich, dass sie ihre Aufgaben, die ich dargestellt habe, mit großem Engagement wahrnehmen, aber auch, dass sie die Vermittlung der Politik, die auf Bundesebene gestaltet wird, hin zum Landesverband, zu den Kreisverbänden, zu den Ortsverbänden und insgesamt in das Land immer wieder leisten. Ich wünsche euch alles Gute, gute Zusammenarbeit und sichere euch – so wie in der Vergangenheit – unsere Unterstützung zu. Aber endlich seid ihr nicht mehr Opposition, sondern endlich könnt ihr mitregieren.

Ich hätte heute auch gerne einer Kollegin gedankt. Ich will es trotzdem tun, auch wenn sie nicht da ist. Seit 1990 hat Claudia Nolte erst in der Volkskammer, dann im Deutschen Bundestag und in der Bunderregierung sehr verantwortlich mitgeholfen, dass wir soweit gekommen sind. Ich danke Claudia Nolte für dieses Engagement, für Thüringen, für die CDU Deutschlands, für die CDU Thüringen. Ich darf Ihnen sagen: Natürlich wird Claudia Nolte auch in Zukunft Verantwortung tragen. Herzlichen Dank für die letzten 15 Jahre und alles Gute für die nächsten Jahre und Jahrzehnte, auch mit unserer Unterstützung.

Was macht es so schwierig, dass wir in Deutschland zu klaren politischen Entscheidungen kommen? Was macht es so schwierig, dass wir auch in Thüringen eine ambivalente Stimmungslage vorfinden? Warum ist das so nach 15 Jahren Wiedervereinigung? Ich gebe ehrlich zu, dass ich mich manchmal frage, warum das so ist, weil die Realitäten, die wir hier erleben, eigentlich eine andere Grundstimmungslage zur Folge haben müssten. In der Nachkriegszeit ist Deutschland aus Trümmern, Hunger und Not durch das Wirtschaftswunder zur stärksten Wirtschaftsmacht in Europa und der Welt aufgestiegen. Harte Arbeit, aber auch ein klarer politischer Kurs haben Deutschland zu dem gemacht, was es heute ist. Es gab Männer und Frauen, die dafür gesorgt haben, dass die politischen Grundlagen immer wieder im Blick blieben. Soziale Marktwirtschaft fußt auf der christlichen Gesellschaftslehre und der katholischen Soziallehre. Nicht nur bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes, unserer Verfassung, sondern auch bei vielen ordnungspolitischen Alltagsentscheidungen und in wichtigen Stunden dieser Bundesrepublik Deutschland gab es – Gott sei Dank – immer wieder Männer und Frauen, die diese ordnungspolitische Grundstruktur beachtet haben: Westbindung, NATO-Doppelbeschluss, Nichtanerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft und im Jahr 1989/90 der größte Sieg der Freiheit, die Einheit.

Was tun wir mit dieser Freiheit? Statt sie wertzuschätzen, statt sie als Chance zu nutzen, statt sie als die Kraftquelle auch für die Zukunft zu erhalten, reden wir sie klein, wollen sie so stark individualisieren, dass sie am Ende als Gesellschaftsziel und als Gesellschaftsbild nicht mehr entscheidend ist, und sehnen uns nach einer zukunftslosen Perspektive der Gleichheit. Wir jammern geradezu nach den alten Mustern der DDR, die den Menschen eingeredet hat, ein Staat könne für Gerechtigkeit und Gleichheit sorgen, obwohl wir doch alle wissen, und viele hier im Saal haben das erlebt, dass jemand, der allzuviel über Gleichheit philosophiert, sie zum Staatsziel erhebt und seine Politik danach ausrichtet, am Ende nur maßlose Ungerechtigkeit erreicht. Dieses Land ist bankrott gegangen, an Idealen wie in der Realität. Wir sollten als Union die Freiheit wieder etwas selbstbewusster als die beste Quelle für Zukunft in den Blick nehmen.

Ich sage das auch, weil wir – Gott sei Dank – in einer Demokratie leben, die aber eines unmissverständlich als Ausgangspunkt haben muss: Das Vertrauen untereinander. Fritz Stern sprach von „Systemvertrauen“. Wenn dieses Vertrauen in der Gesellschaft zerstört wird, innerhalb der Politik, innerhalb der Gesellschaft, dann wird unsere Gesellschaft keine gute Zukunft gestalten können. Die freiheitliche Gesellschaft und die demokratische Ordnung leben von diesem Vertrauen. Deshalb gleich am Anfang in aller Deutlichkeit: Wenn wir nicht lernen, auch in der CDU Thüringen, jedes einzelne Mitglied, dass man Vertrauen auch erarbeiten muss, indem man sich untereinander vertraut und sich nicht die Loyalität entzieht, dann haben wir kein Vertrauen verdient und dann werden wir auch keines bekommen. Wissen Sie, wer dann Sieger dieser Debatte ist? Nicht der politische Mitkonkurrent in der Demokratie, sondern diejenigen, die diesen Staat, diese Demokratie kaputt machen wollen. Merken wir denn nicht, wie der Sieger dieses Streites links von uns und ganz rechts wächst? Wie die Linkspartei ständig stärker wird, weil sie den Menschen in diesem Land etwas einredet, was als Gesellschaftsbild zukunftsunfähig ist, weil es nicht den Menschen, sondern die Ideologie in die Mitte der Gesellschaft rückt?

Der Thüringen-Monitor in diesem Jahr hat sehr viel Positives für uns als Rückenwind definiert. „Die Thüringer haben sich dem deutschen Einheitsschiff ohne Wenn und Aber anvertraut und sie stehen zu dieser Entscheidung, sie vertrauen der demokratischen Bauweise des Schiffes und lehnen die Alternativen sozialistischer Ingenieure ab.“ Das ist eine der zentralen Aussagen des Thüringen-Monitors.

Aber nur 30 Prozent der Befragten sagen heute, sie hätten die DDR 1990 negativ beurteilt. Ich gehöre nicht zu den 70 Prozent, die die DDR positiv beurteilt haben. Ich will damit nicht mein persönliches Leben deformieren. Ich denke, jeder, der diese Jahrzehnte erlebt hat, will sein eigenes Leben wertgeschätzt wissen. Aber ich verwechsle eine solche Einschätzung nicht mit der systematischen Einschätzung des Kommunismus. Er war für mich von Anfang bis zum Ende menschenverachtend. Und alles, was er innerhalb dieser Strukturen entwickelt hat, hat nicht dem Ziel gedient, den Menschen zum Erfolg und zur Verwirklichung zu führen, sondern diente nur dem Ziel, die Staatsideologie umzusetzen.

Deshalb hoffe ich, dass wir den Menschen begreiflich machen: Der Sozialismus als Idee kann keine Zukunft haben, weil er den Menschen nicht ernst nimmt und ihn nicht als Ausgangspunkt, Zielpunkt und Träger von Politik begreift, sondern an diese Stelle die Ideologie setzt. Dieses Denken sollten wir ein für allemal ins Geschichtsbuch verbannen.

Überraschend hoch – sagt diese Studie – ist die Zustimmung zum Sozialismus, so wie er in der DDR bestanden hat: Sechs von zehn Thüringern waren damit zufrieden. Ich frage mich nur, warum Ende 1989 – als die Mauer aufging – alle weg wollten? Ich frage mich nur, warum – als Helmut Kohl überlegt hat, wie man zur Einheit kommt – die Menschen gesagt haben: Kommt die D-Mark nicht zu uns, gehen wir zu ihr. Ich frage mich nur, warum wir, bis in den Sommer 1990 hinein, 10.000 pro Monat haben in den Westen ziehen sehen und erst langsam den Stopp dieser Entwicklung erlebt haben, als klar wurde, wir haben die Wiedervereinigung, wir haben die D-Mark und wir haben die Chance, hier in Freiheit die Soziale Marktwirtschaft aufzubauen.

Ich bin nicht derjenige, der die Ängste, Sorgen und Nöte der Menschen nicht ernst nimmt. Mich drückt die hohe Arbeitslosigkeit, die Angst vor Arbeitslosigkeit. Aber mich drückt auch die einfache Propaganda der PDS: Der Staat hätte darauf eine einfache Antwort. Heute, in einer globalisierten Welt, den Menschen vorzumachen, der starke Staat Thüringen oder Deutschland hätte die Chance, eine Wirtschaftsentwicklung vorauszusagen und zu organisieren, die jedem Arbeit gibt, jedem Perspektive gibt, den Sozialstaat sichert und den Wohlstand sichert, das ist eine vollkommene Überschätzung unserer nationalen Möglichkeiten. Wir müssen unseren Standort reformieren. Wir müssen uns genauso fit machen wie die Engländer Ende 1970, wie die Schweden, die Dänen.

Wie in Großbritannien oder in Österreich oder in den Niederlanden, wie in Neuseeland oder in Kanada müssen wir unsere Reformen voranbringen, damit der Standort Deutschland wieder mehr Zukunft hat, damit Arbeitsplätze entstehen. Und dafür muss der Staat das Notwendige tun und darf nicht auf Verteilung setzen, sondern muss wieder auf Leistung und Erarbeitung setzen. Das ist eine wichtige Voraussetzung.

Warum ich das so mit Nachdruck sage? Weil es nicht nur eine Erkenntnis ist, die aus dem Thüringen-Monitor wächst, die mir Sorge macht, sondern es gibt eine aktuelle Umfrage zur Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft, die in dieser Woche veröffentlicht wurde und bei der ein paar durchaus ähnlich bedenkliche Bemerkungen angebracht sind. Das Tempo der Globalisierung ist – die Frage ging an die Menschen im Oktober 2005 – 47 Prozent „zu hoch“. Der Zustand der sozialen Sicherungssysteme: 5 Prozent sagen „in Ordnung“, 56 Prozent sehen „größere Probleme“ und 37 Prozent sehen sie „vor dem Zusammenbruch“. Ist unser Wohlstand in Gefahr? 61 Prozent „Ja“. Zufriedenheit mit der Demokratie: Noch im November 2000 – 68 Prozent zufrieden, im November 2005 nur noch 47 Prozent zufrieden, 51 Prozent unzufrieden.

Was daraus wird, kann man Tag für Tag nachvollziehen. Jeder hält fest, jeder will so viel sichern wie er nur kann. Eine absolut diesseitsbezogene Gesellschaft, eine, die vollkommen die Zukunft aus dem Blick lässt, die sich nicht mehr um Generationengerechtigkeit kümmert, weil es jedem nur noch um sich selbst geht.

Eine Gesellschaft, die nicht mehr auf Familie setzt, weil das heißt, in Zukunft zu investieren. Eine Gesellschaft, die ein Stück weit die von außen immer wieder implementierte Diskussion aufnimmt und in tiefe Neiddebatten zerfällt: arm und reich, Ost und West, jung und alt. Überall können wir das erleben. Das ist keine Perspektive für eine freiheitliche Gesellschaft. Die Stärke der Sozialen Marktwirtschaft ist genau nicht daraus erwachsen, dass wir zuerst die Verteilung propagiert haben, sondern Erhard mit dem Satz „Erst auf dem Boden einer gesunden Wirtschaft kann die Gesellschaft ihre weiteren Ziele entfalten.“ war der Ansagepunkt für Leistung, für eigene Kraftanstrengung, für Verantwortung. Und das müssen wir stärker in der Mitte der Gesellschaft verankern, hier in Thüringen wie in Deutschland, damit das Vertrauen in die Demokratie nicht nur in schönen Zeiten steht, sondern gerade auch in Zeiten, in denen Reformen angesagt und Veränderungen notwendig sind.

Deshalb bitte ich uns ganz herzlich, dass wir die Debatten, die jetzt in Berlin geführt werden, aber auch die Entscheidungen, die wir hier in Thüringen umsetzen, nicht nur vordergründig danach bemessen, ob unser Portemonnaie mehr oder weniger belastet ist, sondern auch ein Stück weit unter der Überschrift bewerten: Nutzt das auch unseren Kindern? Wenn unsere Eltern nach dem Krieg mit dieser sehr diesseitsbezogenen Entwicklungsperspektive in den Alttag gegangen wären, wären wir nicht so weit. Sie haben gesagt: Unseren Kindern soll es einmal besser gehen. Das war die Implementierung aller wichtigen Sozialstaatsziele. Sie hatten sie nicht gelesen, sie hatten sie nicht studiert, sie hatten auch nicht das Buch „Wohlstand für alle“ gelesen und hatten auch nicht Nell-Breuning studiert. Sie hatten einfach einen gesunden Menschenverstand. Und unsere Aufgabe ist es, an diese Tradition wieder anzuknüpfen und deutlich zu machen, dass wir eine Verantwortung haben, für uns, aber auch für die nachfolgenden Generationen. Und dazu fordere ich uns herzlich auf, gerade unter dieser Überschrift.

Als wir im letzten Jahr miteinander den Wahlkampf gestaltet haben – wie ich finde, sehr erfolgreich –, waren uns drei Themen besonders wichtig: Familie, Bildung und Mittelstand. Unter diesen Überschriften haben wir unsere Programmatik erneut weiterentwickelt. Wohl wissend, dass das, was über die letzten 14 Jahre bis ins letzte Jahr aufgebaut wurde, ein gutes Fundament ist.

Wenn man heute – ein Jahr später – die Statistik bemüht, kann man sehen: Es gibt gar keinen Grund zum Pessimismus, sondern wir sind Stück für Stück vorangekommen. Die Wirtschaftsdaten sind ganz eindeutig. Wir haben im Schnitt der Jahre 1991 bis 2004 das stärkste Wirtschaftswachstum in Deutschland. Wir haben gerade unter den jungen Ländern – wenn es um Innovation geht, wenn es um Patententwicklung geht und wenn es um Industrieentwicklung geht – immer entweder die Spitzenposition oder mit Sachsen zusammen die Spitzenposition. Wir haben auch bei der aktuellen Arbeitsmarktstatistik einen unter den neuen Ländern beispielgebenden Wert, und wir haben auch Bremen an dieser Stelle hinter uns gelassen. Keine Erfolg, auf dem wir uns ausruhen, aber der deutlich macht: Die Fundamente sind gelegt und die Orientierung stimmt.

Wenn die Landesbank Hessen-Thüringen vor wenigen Wochen in einem Report ausdrückt: „Mit attraktiven Lohnstückkosten, die gepaart sind mit einem hervorragendem Ausbildungsniveau, ist das Land Thüringen ein ernstzunehmender Faktor im europäischen Standortwettbewerb“, dann ist das eine profunde und – ich finde – auch stolz machende kurze Zusammenfassung.

Wenn wir in den letzten Wochen und Monaten versucht haben, uns genau in diesem Feld des Mittelstandes weiter zu profilieren, dann genau um diese Stärken weiter zu stärken. Unsere Initiative beim Thüringen-Kapital, bei den Forschungsschecks, dem Thüringen-Stipendium, unsere aktuelle Beteiligung, den sogenannten PET-Fonds, aber auch die weitere Profilierung der Landesgesellschaften, der LEG, der Thüringer Aufbaubank, sind genau diesem Ziel geschuldet.

Wir beweisen auch, dass das im Inneren wie im Äußeren anerkannt wird: Dass wir Rolls-Royce und Lufthansa unter dem Projektnamen N3 nach Thüringen bekommen, ist ein Beweis für die Standortqualität Thüringens, für die Attraktivität Thüringens im Wettbewerb in Deutschland und ganz Europa, weil hier in Thüringen alle Triebwerke des A 340 in Europa, in Nordamerika und in Nordafrika regelmäßig gewartet werden. Und dass Schott vor wenigen Tagen eine Standortentscheidung für Jena gefällt hat, die TFT-Displayfertigung nicht in Asien, wie ursprünglich geplant, sondern in Jena anzusiedeln, ist nicht nur eine Entscheidung pro Jena, sondern eine Entscheidung pro Technologie. Und dass wir vor wenigen Wochen mit der Papierfabrik Jass in Schwarza eine der größten und modernsten Papierfabriken eröffnen konnten, ist ein Beweis für die Standortqualität, aber auch für die Wirtschaftspolitik und für die Qualität der Ausbildung und der Arbeitsleistung der Menschen. Dass sich Fliegl Fahrzeugbau in Triptis im September für den europäischen Markt deutlich erweitert hat, ist ebenfalls ein solches Beispiel. In Artern möchte ich gerne noch vom März dieses Jahres das Pressewerk nennen. Dass wir für ganz Deutschland den Solarpreis bekommen haben, macht deutlich, dass wir auch bei einer solchen Zukunftstechnologie sehr gut eingeschätzt werden, bei der in den nächsten vier, fünf Jahren die Frage beantwortet wird: Wer ist Niveauträger weltweit für diese wichtige Zukunftsbranche?

Das heißt, wir haben einen starken Mittelstand, wir haben gute infrastrukturelle Voraussetzung, wir haben eine leistungsfähige Ausbildungs- und Forschungslandschaft und wir müssen jetzt darauf setzen, dass dieses Wirtschaftswachstum durch unsere Anstrengung weiter voran kommt. Deshalb wertschätze ich Unternehmer und Unternehmen: Weil ich weiß, nur wer etwas unternimmt, erreicht auch etwas. Arbeitsplätze kann man nicht herbefehlen, sondern wir brauchen Unternehmer, die mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Technologien in Produkte umsetzen. Deshalb sollten wir – gerade aus Thüringer Sicht – weiter aktive Wirtschaftspolitik, aktive Unternehmerpolitik gestalten.

Vor der Sommerpause kam zur Bildung eine Kurznachricht: Thüringen hat sich erneut bei PISA II gesteigert und ist in allen vier Kompetenzfeldern in der Spitzengruppe anzutreffen. Solche Meldungen werden nicht so stark verbreitet, weil sie mehr zur allgemeinen Befriedigung beitragen könnten und das ist nicht unbedingt das Ziel aller. Deshalb ist so eine Meldung schneller zu Ende als es eigentlich richtig ist. Ich erinnere mich nämlich noch – und Bernhard Vogel allemal und der ehemalige Kulturminister Michael Krapp –, dass wir bei der ersten PISA-Studie von der Opposition aufgefordert worden sind, jetzt aber mal schleunigst unser ganzes Bildungssystem zu verändern, die Strukturen neu zu fassen und uns auf die Einheitsschulsysteme einzustellen, die – angeblich – ach so gute Erfolge hatten.

Wir haben damals gesagt: Nein, wir bleiben dabei, klar strukturiert, an Leistung orientiert. Kompetenzen kann man nicht nur herbeiphilosophieren, sondern man muss sie auch organisieren. Und wir bleiben auch dabei, diese Differenzierung als Kraft für eine differenzierte Gesellschaft zu nutzen. Und Recht haben wir gehabt, dass wir dabei geblieben sind. Es ist ein Wettbewerbsvorteil für Thüringen gerade in den nächsten Jahren, leistungsfähige Bildungsstrukturen zu haben.

Und da gab es drei Punkte, die mich besonders erfreut haben, die kaum veröffentlicht worden sind, obwohl natürlich Jens Goebel das immer wieder betont hat. Der erste: Gerade bei Mathematik und Problemlösungen sind wir besonders gut. Kommt es nicht genau darauf an, wenn es um einen innovativen Standort geht? Der zweite: Bei der Eigenverantwortlichkeit der Schule werden wir ebenfalls deutlich über dem Durchschnitt gesehen. Kommt es nicht genau darauf an, Eigenverantwortung wahrzunehmen? Der dritte: Es gelingt Thüringen ausnehmend gut, die Entkopplung des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft zu organisieren.

Also stimmt die landläufige Auffassung, dass eine Sozialselektion in einem differenzierten Bildungssystem die Normalität sei, nicht. Sondern im Gegenteil: soziale Herkunft und Bildungserfolg sind in Thüringen weitgehend nicht miteinander direkt verbunden. Das ist ein Erfolg Thüringer Bildungspolitik! Ich bin den Lehrerinnen und Lehrern dankbar, die das über Jahre erarbeitet haben. Aber ich bin auch dankbar für eine solide und klare Unionsbildungspolitik seit 1990.

Das schließt natürlich Hochschule und Forschung voll mit ein. Wenn wir da deutschland- und europaweit gut eingeschätzt werden und wenn wir auch weiter gute Leistungen erbringen, dann können aus Jena, Ilmenau, Erfurt, Schmalkalden, Weimar und aus Nordhausen immer wieder besondere Impulse hervorgehen. Wir spüren das, wir merken es, aber wir sagen es uns zu wenig. Ich muss ins Ausland kommen, um zu hören, dass in Nordhausen nach der Fachhochschulgründung inzwischen Forschungsgemeinschaftsprojekte auch deutschland- und europaweit einen guten Ruf entfalten und dass dort inzwischen Wirtschaftsansiedlungen sind und dass dort junge Menschen auch aus anderen Teilen Deutschlands sagen: Jawohl, ich gehe nach Nordhausen und studiere an genau dieser Fachhochschule. Diese Potentiale, die wir zum Teil aus Tradition, zum Teil aber auch aufgrund neuer Entscheidungskompetenz in den letzten Jahren in Thüringen entwickelt haben, sind die Grundlage, auf der wir arbeiten können – und sie sind eine gute Grundlage.

Ich schlussfolgere nur nicht daraus, dass ich deshalb den Kyffhäuserkreis nicht mehr ernstnehme, den Saale-Orla-Kreis oder den Landkreis Hildburghausen, sondern ich schlussfolgere daraus, dass diese Stärken, diese Potentiale zu stärken für ganz Thüringen, für alle Regionen Thüringens von Nutzen werden sollen und werden muss. Deshalb sollten wir Bildungs-, Hochschul- und Forschungslandschaft so weiter profilieren, wie in den letzten Jahren, auch wenn es im Haushalt schwer fällt. Das sind Zukunftsprojekte, die sich rentieren werden. Da bin ich ganz sicher.

Deshalb ist es auch wichtig, dass wir uns dafür mehr Freiräume schaffen. Genau deshalb müssen wir reformieren. Nicht, weil in den letzten 14 Jahren alles falsch gemacht worden ist, nein, weil sich die Zeiten ändern. Und wenn im Jahr 2001 durch eine unsinnige Körperschaftssteuerreform in Deutschland eine negative Einnahmespirale entstanden ist, dann muss man das zur Kenntnis nehmen. Da bitte ich die Kommunen, einfach den Blick auf die Realitäten zu wagen. Dieses Land hatte unter Bernhard Vogel beschlossen: Im nächsten Jahr, 2006, haben wir einen ausgeglichenen Haushalt. Jeder, der im Landtag ist, weiß, dazu waren die Beschlüsse gefasst, nicht nur in den Haushalten, sondern auch in der mittelfristigen Finanzplanung. Und wir hätten es geschafft. Wir hätten damit zwei wichtige Ziele erreicht: Diese Nettoneuverschuldung, die uns Jahr für Jahr mehr Lasten auferlegt, zu beseitigen, statt dessen viele Freiräume durch nicht mehr zu zahlende Zinsen zu organisieren und gleichzeitig uns stärker auf die Stärken zu konzentrieren und uns an der Stelle auch entsprechend zu engagieren.

Im Jahr 2001 kam diese kurzfristige Überraschung mit erheblichen Steuermindereinnahmen, und von da an ging es kontinuierlich weiter – Jahr für Jahr.

 

Deshalb mussten wir zwei wichtige Ziele neu formulieren. Wir mussten uns kurzfristig von der deutlichen Reduktion der Nettoneuverschuldung, sehr zu meinem und sehr zum Bedauern der Finanzministerin und aller, denen es um die Zukunft dieses Landes geht, verabschieden. Aber es geht nicht anders. Gleichzeitig mussten wir noch – stärker als es bisher notwendig war – das Bestehende überprüfen. Deswegen haben wir 30 Gesetze auf die Tagesordnung gesetzt und novellieren sie. Deswegen machen wir eine Behördenstrukturreform, um den ganzen Behördenaufbau zu überprüfen, Personal abzubauen und am Ende dadurch auch Einsparungen zu organisieren. Wir nutzen das aber nicht nur, um fiskalische Ziele zu erreichen, sondern weil diese Diskussion auf die Tagesordnung gehört. Und wir führen sie auch grundsätzlich.

Genau um diese Grundsatzdiskussion geht es uns seit vielen Monaten: Darum, zu sagen, Hilfesysteme sind Hilfesysteme und keine Nachteilsausgleichsysteme, weil Nachteilsausgleiche am Ende niemals erfolgreich organisiert werden können. Es bleiben zum Beispiel bei Behinderten immer Defizite, die man leider nicht ausgleichen kann. Deswegen ist ein Sozialstaat überfordert und auch eine Politik, die ein solches Ziel anvisieren will. Deswegen haben wir gesagt: Wir müssen im Blick auf so manche Kommunalfinanzen, im Blick auf so manche Empfänger wie Schulen in Freier Trägerschaft und vieles andere überprüfen. Wir haben nicht nur eine Fiskaldebatte geführt, sondern haben sofort eine ordnungspolitische Debatte angeschlossen.

Sie können mir eines glauben: Ich werde nicht hingehen und werde den Blinden in diesem Land sagen, wir haben das Blindengeld gekürzt und schaffen es ab dem 27. Lebensjahr ab, weil wir kein Geld mehr haben, sondern ich sage ihnen, dass wir nach dem eingehenden Überprüfen unserer Situation festgestellt haben, dass es Zeit ist, ordnungspolitische Entscheidungen zu fällen. Da wir in Deutschland ein ausgefeiltes System der Blindenhilfe mit einem Nachteilsausgleichsfaktor haben, haben wir gesagt, dann macht es keinen Sinn, auf Dauer einen zusätzlichen Nachteilsausgleich zu erhalten, weil mit Recht andere Gruppen in dieser Gesellschaft schon Jahre fordern, dass für sie auch ein solcher Nachteilsausgleich organisiert wird. An dieser Stelle wünschte ich mir in ganz Deutschland, dass wir unsere gesamten sozialen Leistungen einmal darauf prüfen, ob sie wirklich unserem Subsidiaritätsprinzip und unserem Solidaritätsprinzip entsprechen. Ich glaube, der Staat hat nicht die Pflicht, immer mehr zu verteilen, sondern zuallererst darauf zu achten, dass wir wieder mehr erarbeiten und dass wir Hilfe zur Selbsthilfe leisten.

Deshalb ist das eine schwierige Debatte, wenn wir über Kommunalfinanzen reden. Auch mit den vielen bisher gutbedachten Empfängern verschiedener gesetzlicher Leistungen. Aber es ist eine notwendige Debatte. Es ist genau die Umbaudebatte, die wir insgesamt in Deutschland führen müssen, weil wir nicht länger den Eindruck erwecken dürfen, dass, wenn der Staat nur wolle, alles ginge. Diesen Eindruck hat der Staat Jahrzehnte geweckt – und es geht nicht. 1,4 Billionen Euro Schulden hat dieser Staat, in Thüringen sind es 15 Milliarden Euro. Das heißt, wir essen Zukunft auf. Wir müssen wieder darauf achten, dass die solide Haushaltspolitik nicht nur etwas für die Haushälter ist, sondern das ist die Grundlage eines gesunden Staates. Wenn wir nicht solide Haushalt führen, dann sind wir auch keine guten Politiker. Deshalb bin ich auch dankbar, dass in Berlin, wie bei uns, die Überschrift Konsolidierung der Staatsfinanzen ganz groß geschrieben wurde und dass wir uns auch danach verhalten. Denn: Wer sich immer mehr verschuldet, baut immer mehr Zukunft ab. Deswegen sollten wir solide Haushalte – gerade auch in Thüringen – im Blick behalten und daraufhin auch reformieren.

Bei einem anderen Thema wird es auch inhaltlich, das ist das Thema Behördenstrukturen: Auch da wird aus der finanziellen Diskussion eine ordnungspolitische. Ich will, dass wir nicht nur Behördenstrukturen überprüfen, sondern dass wir wieder die Aufgabenkritik – wie in den letzten Jahren auch – in den Mittelpunkt der Debatte rücken. Wir haben eine moderne Datensystematik in Thüringen und in Deutschland. Das heißt, wir können Kompetenz bündeln, an welcher Stelle wir auch wollen, aber wir müssen die Bürgernähe sichern. Das heißt, wir müssen wieder stärker vor Ort Ansprechbarkeit und Entscheidungsfähigkeit sichern. Die Betroffenheitsebene muss – wo immer möglich – die Entscheidungsebene sein, weil dieses Entschuldigen mit der nächsten Ebene Politikverdruss bringt. Merken wir das nicht? Und dann geht man vor Gericht und am Ende ist der Rechtsstaat das Problem. Wir müssen wieder dafür sorgen, dass, wenn ein Sachbearbeiter eine Verwaltungsvorschrift oder ein Gesetz bearbeitet und anwendet, er auch den Ermessensspielraum nutzt und sich nicht damit entschuldigt, dass andere für die Entscheidung zuständig sind.

Wenn der Staat nur noch in seinen Verwaltungsstrukturen funktioniert wie das Google-Suchsystem im Internet – „Wo ist denn schon mal eine Parallelentscheidung gefällt, die ich nur noch nachvollziehen muss?“ –, dann braucht bei der Dynamik unseres Informationssystems in einigen Jahren überhaupt keiner mehr etwas zu bearbeiten. Nein, es geht darum, Spielräume auch zu nutzen, im übrigen mit aller Konsequenz. Wir haben das erlebt, Andreas Trautvetter bei der Bauordnung. Wir haben gedacht, bei der Novelle tun wir etwas Gutes für alle Betroffenen und haben uns nicht gewundert, dass die Landkreise zum Beispiel sagten, was machen wir jetzt mit dem Personal? Dass aber auch die Architekten jammerten, dass sie nicht überall einen grünen Stempel bekommen, dass hatte ich nicht erwartet. Wer Verantwortung hat, muss sie auch wahrnehmen! Wer ein solches Staatsexamen hat, wer einen solchen Abschluss hat, muss auch diese Verantwortung wahrnehmen! Wir müssen bei der Veränderung des Staates wieder mehr auf Verantwortlichkeit zurückkommen. Verantwortung heißt – das muss man in aller Konsequenz sagen – Chance, aber auch Risiko. In einer freiheitlichen Gesellschaft gehören die Chancen und die Risiken benannt. Wir müssen uns darum bemühen, dass die Chancen genutzt werden und die Risiken minimiert werden. Das ist die Aufgabe einer klugen und weitsichtigen Ordnungspolitik.

 

Deshalb komme ich als wichtiges und zentrales Thema, neben den Behördenstrukturreformen und dem Umbau vieler Gesetze, zum Thema Familie. Denen, die Tag für Tag immer wieder schreiben, hier falle ein Thema vom Himmel, sage ich: Wer nicht lesen kann, soll sich wenigstens die Mühe machen, sich in den historischen Prozess dieser Debatte einzuatbeiten. Die Familiepolitik beschäftigt diese Partei seit 2001 ganz intensiv. Ich war zu dieser Zeit selbst Fraktionsvorsitzender und habe am 21. August 2001 in der Bildungsstätte St. Martin für die CDU Thüringen als stellvertretender Landesvorsitzender das „Forum Familie“ gegründet. Damals haben Johanna Arenhövel, Michael Krapp und Dr. Frank-Michael Pietzsch Arbeitsgruppen übernommen und wir haben über eine lange Zeit mit vielen in der Union, aber auch mit vielen anderen darüber diskutiert, was notwendig ist, um für Familien mehr Vorfahrtsregeln zu entwickeln. Weil Familie – davon bin ich fest überzeugt – in Deutschland zu sehr und zu lange in eine Außenseiterrolle gedrängt wurde, besteht die Gefahr, Zukunft zu verspielen.

Ich bin aber davon überzeugt, dass der Artikel 6 unseres Grundgesetzes nicht nur Deklaration und Abwehr ist, sondern aktive Politik einfordert. Ich glaube, wenn da steht, „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz…“, dann meinten die Grundgesetzväter und -mütter auch, was sie dort geschrieben haben. Ich bin nicht dafür, dass wir diese Grundbestände unserer freiheitlichen Gesellschaft – auch Ehe, das sage ich ganz bewusst – aufgeben. Wer die Loyalitäten in einer Gesellschaft auf Dauer in Frage stellt, stellt am Ende auch die Demokratie und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft in Frage.

In den letzten Jahren – von 1992 bis 2004 – haben die Ehescheidungen in Deutschland um 58 Prozent zugenommen. Viele kennen – auch aus ganz persönlichem Erleben – diese bedrückenden Erfahrungen, diese Sorgen, die sich damit verbinden. Ich bin nicht der Auffassung, dass wir nicht die Alternativen sehen sollten. Aber ich bin sehr der Auffassung, dass der Staat mit seiner Ordnungspolitik Vorfahrtsregeln sichern und neue Vorfahrtsregeln schaffen muss, damit Familie und Ehe in dieser Gesellschaft wertgeschätzt und unterstützt werden.

Ich kenne keine andere Institution, außer der Familie, außer der Ordnung, die auf Kinder bezogen ist, die Werte vermittelt, die erzieht und die auch ganz grundlegend in die Gesellschaft einführt, die die wichtigen Orientierungsprinzipien vermittelt, die Mitbestimmen und Mitarbeiten genauso vermittelt, wie Grenzenziehung und Ordnung, die Akzeptanzwerte ganz genauso mitvermittelt wie die Selbstentfaltungswerte.

Deshalb sollte sich der Staat bei diesem Thema nicht einbilden, er könne – durch welche Organisation auch immer – an diese Stelle treten, indem er der Familie abspricht, zu erziehen, indem er Eltern abspricht, diese Erziehungsleistung zu erbringen. Es ist das Recht, aber auch die Pflicht von Eltern, ihre Kinder in den wesentlichen Lebensphasen zu begleiten und ihnen Erziehung angedeihen zu lassen. Dieses gute Prinzip sollten wir erhalten und, wo immer es geht, auch wieder stärker herausfordern, weil ich Angst davor hätte, wenn wir das an gesellschaftliche Gruppen oder an den Staat ganz allgemein delegierten. Das kann keine Zukunft haben.

Damit die Fakten stimmen, will ich schon daran erinnern: Wir haben am 24. Mai 2003, ganz in der Nachbarschaft, in Gera, einen ganzen Parteitag zum Thema Familie durchgeführt. Da gibt es einen Satz: „Eltern müssen Wahlfreiheit haben, wie sie die Erziehung der Kinder gestalten und mit dem Beruf verbinden wollen.“ Genau darum geht es auch jetzt in der Familienoffensive. Die individuelle Entscheidungsfreiheit der Eltern zu stärken und auch herauszufordern. Wir haben im September 2003 ein Landesbündnis für Familie gegründet und nach der Wahl im letzten Jahr haben wir diese Familienoffensive vorbereitet. Der Minister Goebel, der Minister Zeh und ich habe im April dieses Jahres diese Familienoffenoffensive mit ihren Grundlagen veröffentlicht. Und wer heute schreibt oder, besser gesagt, wer sich zitieren lässt, dass man nichts wisse, dass sich Tag für Tag die Inhalte änderten, dem kann ich nur sagen: Die Grundlinien dieser Familienoffensive haben sich seit April bis heute nicht geändert. Es sind einzelne Fragen immer einmal wieder strittig diskutiert worden: Tragen wir die Möbel in diesen Raum durch die Tür oder durch die andere? Und da haben wir uns nach längerer Debatte entschieden: Nicht mehr durch die Tür, sondern durch die andere Tür. Aber wie die Ordnung innerhalb dieses Saales ist, das ist genauso geblieben. Das heißt, die kindbezogene Pauschale, das heißt, die Infrastrukturpauschale, das heißt zum Beispiel das Thüringer Erziehungsgeld und das heißt auch die Stiftung FamilienSinn. Das alles ist so geblieben. Das hat auch die Fraktion genauso weiter gestaltet. Sie hat nur – das finde ich auch richtig – diese Frage beantwortet, wer soll jetzt die Endverantwortung auf kommunaler Ebene haben? Die Gemeinde oder der Landkreis? Es ist nach Debatten mit großer Einmütigkeit am Ende für die Kommune entschieden worden. Das halte ich auch für ganz richtig.

Warum sind wir auf diese Familienoffensive gekommen? Nicht nur wegen der Historie, die ich geschildert habe, sondern auch da steht natürlich ein finanzpolitischer Grund Pate. In den letzten Jahren erhöhten sich die Kosten des Landes für die Kindertagesstättenbestreuung um bis zu zehn Millionen Euro jährlich. Eine tolle Sache, würde jeder sagen, wir haben also mehr Kinder. Das wäre schön. Wir haben aber nicht mehr Kinder, auch nicht – wie mir immer wieder vor Ort bestätigt worden ist – höhere Einkommen für die Erzieherinnen und Erzieher, sondern schlicht und ergreifend eine Ausweitung der Strukturen. Aus ganz verschiedenen Gründen.

Ich will nicht richten, warum das so ist. Ich will auch nicht lange darüber reden, wer da möglicherweise seine Ordnungs- und Kontrollpflichten nicht so wahrgenommen hat. Ich will nur eines sagen: Wir sind Treuhänder für Steuermittel. Wir haben nicht Töpfe von Geld, die wir nach Gutdünken verteilen. Sondern: Wir sind durch die Wählerinnen und Wähler beauftragt, dafür zu sorgen, das wenige Steuergeld, das wir zur Verfügung haben – nur 46 Prozent unseres Haushaltes kommen aus eigenen Steuern – so verantwortlich wie möglich auszugeben.

Deshalb ist es richtig, dass wir dieser Entwicklung nicht länger zugeschaut haben, weil die inhaltlichen Gründe ohnedies auf der Tagesordnung standen: Kind und Familie wieder in die Mitte zu rücken. Wir haben diesen Punkt genutzt, um eine grundsätzliche Familienoffensive durchzuführen. Denn wir achten darauf, dass da, wo Hilfe, wo Unterstützung, wo Förderung notwendig ist, diese auch geleistet wird. Aber wir haben auch eine Verantwortung, dass einem möglichen Missbrauch, einer möglichen Überstruktur Grenzen gesetzt werden. Das ist unsere Verantwortung als Landesregierung und das ist auch die Verantwortung des Parlaments. Ich bin dankbar, dass wir da genauso denken – Fraktion und Landesregierung.

Ich habe Verständnis dafür, dass Träger Zeit für den Übergang brauchen. Ich habe auch Verständnis dafür, dass wir viele Fragen beantworten – tagtäglich. Jeder, der damit zu tun hat, tut das auch. Es gibt kein Politikfeld, das wir in den letzten Monaten so intensiv bearbeitet haben – auch vor Ort, in den Einrichtungen.

Ich habe kein Verständnis, wenn man Eltern instrumentalisiert und wenn man ihnen Ängste einredet, die unbegründet sind. Das Thema Gruppengröße ist ein Beispiel. Nichts davon ist wahr, dass sich Gruppengrößen faktisch ändern müssen. Wir bestimmen lediglich Mindestgrößen. Daran wird sich nichts ändern. Ich bin auch dagegen, nicht erfolgte Strukturänderungen jetzt beim Land abzuladen. Wenn mir ein Kindergarten sagt, er hat 200 Kinder und 28 Vollzeitbeschäftigte und er müsse jetzt vier entlassen, dann habe ich die Frage zurück gestellt: Warum haben Sie das bisher nicht getan? Es hat mit dem neuen Gesetz nichts zu tun. Auch Überstrukturen hätten bisher schon – wenn man verantwortlich handelt hätte – abgebaut werden müssen.

Wie kommen wir denn dazu, Steuergelder zu verschwenden? Ich weiß, dass es schön ist, drei Erzieher übrig zu haben und sie jeden Tag einsetzen zu können, wenn jemand krank wird. Das würde die Schule auch gerne tun. Ich glaube, auch Unternehmer würden gerne in ihren Unternehmen frei verfügbare Arbeitskräfte zusätzlich haben und, wenn sie diese brauchen, einsetzen können. Das geht aber nicht. Ich finde, wir sollten da auch wieder mehr Realitätssinn einziehen lassen.

Ich bin auch sehr dafür, dass wir wieder Wettbewerbsstrukturen bekommen, gerade bei diesem Thema, und da müssen Eltern, Träger und Kommunen auch miteinander um das beste Angebot streiten. Das ist nämlich eine freie Entscheidung der Eltern und nicht eine Vorgabe des Staates oder des Trägers, über was wir hier reden. Hier geht es um Freizeit. Hier geht es um die wichtigen Jahre im vorschulischen Bereich, und da müssen vor allen Dingen die Eltern entscheiden. Deshalb will ich ganz klar sagen, dass wir diesen Paradigmenwechsel – so wie er von den Fachleuten beschrieben wird – durchgearbeitet haben und nachvollziehen. Was uns Professor Habisch in seinem Gutachten im Blick auf Skandinavien, auf Österreich und auf die wissenschaftliche Landschaft an dieser Stelle ins Stammbuch geschrieben hat, liest sich genau wie die Begründung für diesen Paradigmenwechsel. Deshalb ist es auch wichtig, an dieser Stelle nicht nur vordergründige und rückwärtsgewandte Debatten zu führen, sondern einmal die Chancen, die in diesem neuen Gesetz liegen, zu nutzen. Mehr für Familie zu tun, eine Stiftung zu haben, mit der man mehr Familienunterstützung leisten kann. Wenn wir ein Thüringer Erziehungsgeld haben – nur vier Länder haben nur ein solches Geld. In der Öffentlichkeit wird der Eindruck entwickelt, als würden wir hier Eltern in eine Entscheidungsfreiheit entlassen, die unverantwortlich ist. Nein, wir schätzen die Erziehungsleistung der Eltern. 12 Länder schätzen sie gar nicht. Und wenn das Elterngeld kommen sollte, geht das in die gleiche Richtung: Erziehungsleistung der Eltern wertschätzen. Deshalb passt das auch gut. Wir sollten uns da nicht in eine Sackgasse treiben lassen, sondern wir sollten das offensiv vertreten. Dass wir zusätzliche Investitionen auslösen wollen, sollten wir ebenfalls offensiv vertreten.

Heute lese ich in einer Zeitung: Viele Städte tragen sich mit dem Gedanken, die entstandene Lücke mit den Geldern aus der Infrastrukturpauschale von 1.000 Euro je Neugeborenem zu decken. Das ist aber auch eine zweischneidige Angelegenheit. Als ich das gelesen habe, habe ich gedacht, es wäre Karneval. Wir führen als Land erstmalig eine Investitionspauschale pro Neugeborenem ein, etwas, das es bisher überhaupt noch nicht gab. Damit wollen wir etwa ein Vierfaches an Investitionen auslösen. Wir wollen damit auch einen Rechtsanspruch definieren, weil ich diese Mittel fest verbuchen kann und nicht mehr ein Antrag beim zuständigen Minister stellen muss, ob ich meinen Kindergarten gefördert bekomme, und dann auf einer Liste von 40 der Vierzehnte bin und dreimal hintereinander Pech habe. Sondern ich kann dann in meiner Kommune mit den 500 oder 100 oder 50 Geburten genau planen. Das steht alles mit in dem Gesetz.

Weil wir aber wissen, dass der Übergang geordnet werden soll und muss, sagen wir, die ersten anderthalb Jahre könnt Ihr auch diese Investitionspauschale mit nutzen, um diese Übergänge zu ordnen. Das ist alles die Erfindung des Landes. Und plötzlich steht da, die Kommunen werden jetzt die Lücke aus ihren 1.000 Euro Infrastrukturpauschale für die Kinder decken müssen. Da wird wirklich das Ganze auf den Kopf gestellt. Da ist etwas, das wir neu entwickeln, das es bisher noch gar nicht gab, das eine ganz neue Qualität der Investitionsoffensive für Kinder in den Kommunen bedeutet.

Ich bitte Euch alle als Kommunalpolitiker um etwas mehr Seriosität. Die Menschen in diesem Land haben die Erwartung, dass Politik auch mit Wahrheit und Klarheit vermittelt wird und nicht nur durch Populismus versucht wird, Schlagzeilen zu erzielen.

Sie können auch ganz gewiss sein, wir werden es am 8. Dezember entscheiden, weil wir so viele Diskussionen geführt haben, auch ich selbst, dass ich den festen Eindruck habe, es ist nicht mehr ein Erkenntnisproblem. Was wir im Nachgang brauchen, ist die Erfahrungswirklichkeit: Dass das so wird, wie wir das auch häufig in den letzten Wochen diskutiert haben.

 

Ich will ein ganz deutliches Wort zur Frage „Honecker-Schule“ und „Honecker-Kindergarten“ und dem heutigen Thüringen sagen. Ich habe das im Zusammenhang mit unserem Angebot für Malhefte gelesen. Das kann man lustig finden oder nicht lustig finden. Das kann man nutzen oder nicht nutzen. Ich habe die Honeckerzeit jedenfalls anders in Erinnerung.

Bitte einmal langsam in der Argumentation. Bitte einmal fünf Minuten denken, bevor man redet. Es ist nicht verboten, erst zu denken und dann zu reden. Wir leben heute in einer freiheitlichen Demokratie. Und ob Eltern das nutzen oder nicht, ob Träger das nutzen oder nicht, das ist den Eltern und den Trägern überlassen. Wir leben nicht mehr in einer Indoktrination, deshalb sollten wir auch nicht Unvergleichbares miteinander vergleichen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit unserer Familienpolitik eine Vorreiterrolle einnehmen, weil wir etwas einführen, was in Zukunft zwingend sein wird. Die Person, die – nach Sozialer Marktwirtschaft, christlicher Gesellschaftsethik und katholische Soziallehre – ursprünglich immer Augsangspunkt von Politik war, die Person wird wieder in den Mittelpunkt gerückt.

Deswegen müssen wir auch diese Subjektförderung überall in den nächsten Jahren immer stärken reflektieren. Das machen die modernen Länder, die uns oft in der Debatte vorgehalten werden. Nur es wird in dieser Debatte nicht erklärt, was da abläuft, sondern es wird lediglich das Ergebnis dargestellt. In Skandinavien wird die Subjektförderung bis in die Schule hinein durchgeführt. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir diesen inhaltlichen Wechsel durchführen und auch verstehen, und ich bitte alle herzlich, sich an der Argumentation zu beteiligen. Wir haben Argumente dazu, die wir mehrfach veröffentlicht haben, und wir werden auch heute noch einmal mit unserem entsprechenden Antrag diese Argumente deutlich nach außen vermitteln.

Lassen Sie mich zum Abschluss kommen, zu dem wichtigsten Thema, das uns – neben diesen landespolitischen und bundespolitischen Themen – in den nächsten Wochen als Partei beschäftigt. Wir haben Kommunalwahlen. Die ersten Kommunalwahlen werden in wenigen Wochen sein, am 15. Januar 2006 im Saale-Orla-Kreis. Ich weiß nicht, ob Gottfried Schugens da ist, aber ich vermute es. Er wird dort der Spitzenkandidat für die Union sein und wir wollen den Landrat zurückgewinnen. Peter Stephan, der Landesverwaltungsamtspräsident, hat diesen Landkreis vorzüglich geführt. Wir sind mit der Nachwahl von Peter Stephan mitten in den Spendenskandal gekommen, ohne dass wir das vorher überhaupt ahnen konnten, und dann haben wir den Landkreis verloren, einen Landkreis, der sich immer gut entwickelt hat. Wir sollten als Auftakt des Jahres uns gemeinsam ein Geschenk machen und miteinander dafür kämpfen, dass wir diesen Landkreis zurückgewinnen. Ich fordere dazu alle auf und bitte alle, da auch zu helfen.

 

Denn das ist der Auftakt für den 7. Mai. Ich gebe gerne zu, dass das, was wir derzeit an Umbau organisieren, auch im nächsten Jahr bei der Kommunalwahl, so wie bei der Bundestagswahl, nicht Rückenwind für den Wahlkampf ist.

Wenn wir ein so großes Umbauprogramm machen, müssen wir das zu Beginn der Legislaturperiode definieren und umsetzen und das bedeutet auch Gegenwind. Aber ich bitte Euch, dass wir gemeinsam diese Kommunalwahl nutzen, auch gemeinsam zu vermitteln, warum wir dies tun.

Wir sind die Kommunalpartei in Thüringen und ich will ein klares Wort sagen: Als wir 1990 im Mai zur Wahl standen, sind wir nicht als Müller, Meier, Schulze, Althaus gewählt worden, sondern als Union. Weil man die Einheit wollte und weil man Helmut Kohl gewählt hat. Und wisst Ihr, was ich gerne hätte? Dass wir uns nach 15 Jahren nicht einbilden, weil wir inzwischen eine persönliche Reputation haben, die ich hoch schätze und für ganz wesentlich erachte, dass wir inzwischen diese Partei als Ideengemeinschaft nicht mehr brauchen. Wir dienen diesem Land zuallererst, den Kommunen und dem Land, und dann der Partei und dann erst der Person. Ich will diesen Egoismus in unserer Partei nicht länger ertragen müssen. Wir sollten wieder gemeinschaftlich Politik machen.

Es geht doch nicht darum, ob ich mein Amt verteidige. Ich führe mein Amt doch nicht für mich aus, und keiner der Bürgermeister, keiner der Landräte tut das, so hoffe ich, sondern wir tun das, weil wir dieses Land umgestalten wollen, weil wir wissen, dass es sich lohnt, weil es wunderschön ist und weil wir wissen, dass wir in den 15 Jahren gemeinsam blühende Landschaften entwickelt haben.

Gehen wir doch nach Ronneburg und in die Nachbarschaft, das war eine geschändete Landschaft, und sie ist heute auf dem Weg, wieder eine blühende Landschaft zu werden. Schauen wir uns doch Altenburg an. Diese Stadt, die sich auch wieder als Residenzstadt herausgebildet hat, die anziehend ist und inzwischen auch wieder Leute einlädt, nicht nur das Skatgericht, sondern auch viele andere. Gehen wir in die vielen Regionen unseres Landes, und wir können sehen, was da entstanden ist. Das ist aber nicht entstanden, weil wir uns als Individuen selbst genügt haben, sondern weil wir gemeinsam daran gearbeitet haben – im Bund, im Land und in der Kommune. Und an diese Gemeinsamkeit will ich nicht nur erinnern, sondern die will ich einfordern. Denn wir brauchen auch Nachfolger, wir brauchen auch die, die in fünf Jahren, in sechs Jahren diese Mandate annehmen, und die brauchen diese Gemeinschaft der Union, weil wir glauben, dass die Union die richtigen Ideen für die Zukunft dieses Landes hat.

Ich weiß auch, dass man manchmal mit einer lockeren Aussage unwahrscheinlich mehr Popularität bekommt. Ich habe Kollegen im Ministerpräsidentenamt, die dies Tag für Tag tun. Ich frage mich zum Beispiel, warum ich am Montag nach Berlin fahre, um die Auswertung des Wahlkampfes zu diskutieren, wenn ich heute in der „Welt“ schon alles lese. Da kann ich nachlesen, wie meine Kollegen denken und ich kann am Montag eigentlich nur noch hinfahren und sagen, ich habe schon gelesen, was Ihr gesagt habt, ich sehe das so oder nicht so. Aber diese Diskussion können wir uns eigentlich ersparen, weil die Schlagzeilen schon geschrieben sind.

Ich weiß, dass diese Eitelkeit – da nehme ich mich nicht von aus – sicher auch ein Stück weit in jedem steckt. Aber an dieser Stelle will ich wirklich immer wieder betonen, was Bernd Vogel immer wieder, nicht nur als sein Credo, sondern als unser Credo gesagt hat: Es ist so und es bleibt so, dass dieses Land im Mittelpunkt steht, dann kommt die Partei und dann, als Drittes, die Person. Das darf man nicht umkehren. Ich sage das auch deshalb, weil ich glaube, wir dürfen einem Missverständnis nicht erliegen: Es ist dann kein politischer Streit mehr zwischen Althaus und – ich sage jetzt keinen Namen –, sondern es ist dann der Streit, ob dieses Land unionsgeprägt ist, ob wir es schaffen, uns als Thüringenpartei in den nächsten Jahrzehnten um dieses Land verdient zu machen, oder ob die Linkspartei.PDS in diesem Land wieder die Verantwortung bekommt. Ich möchte das nicht, weil ich dankbar bin für Freiheit, für Einheit und für das, was wir gemeinsam geschaffen haben.

Deshalb will ich den heutigen Tag wirklich nutzen, um eines deutlich zu machen: Wenn wir die Kommunalwahlen am 7. Mai gemeinsam gewinnen wollen, dann müssen wir zu unseren Kandidaten stehen, die wir nominieren – manchmal sind dazu auch Abstimmungsergebnisse wichtig –, dann müssen wir in Geschlossenheit zueinander stehen, weil natürlich Vertrauen erwerben heißt, erst einmal Vertrauen geben. Und wenn wir uns untereinander nicht vertrauen, dann werden wir auch kein Vertrauen bekommen. Warum auch?

Ich habe Erfahrung im Wahlkampf. Ich helfe allen aus innerer Überzeugung, weil ich gerne möchte, dass Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte mit unserer geistigen Perspektive auch Verantwortung für die gemeinsame Gestaltungsaufgabe tragen.

Ich möchte, dass die bürgerliche Mitte in diesem Land der Freiheit auch in Zukunft eine Chance gibt. Deshalb bitte ich ganz herzlich, nutzt die Zeit, in der wir untereinander sind, und streitet. Nutzt die Zeit, Kritisches an der Stelle anzusprechen, wo es notwendig ist. Nutzt auch die Zeit, die Diskussionen in der Gesellschaft zu führen. Was ist uns wichtig und warum tun wir das eine und warum lassen wir das andere? Aber nutzt auch die Zeit, dass wir gemeinsam in Vertrauen zueinander, in Loyalität zueinander in diesem Land unseren Dienst tun, dann werden wir auch nicht nur im nächsten Jahr, sondern auch im Jahr 2009 wieder erfolgreich sein.

***

 

 

 


11/11 2005

Regierungserklärung



Frau Präsidentin,

meine sehr verehrten Damen und Herren! ...

 

„Die Thüringer haben sich dem deutschen Einheitsschiff ohne Wenn und Aber anvertraut und sie stehen zu dieser Entscheidung. Sie vertrauen der demokratischen Bauweise des Schiffes und lehnen Alternativen sozialistischer Ingenieure ab.“ Dies ist das Fazit des diesjährigen Thüringen-Monitors. Es ist ein erfreuliches Bild, das die Wissenschaftler nach 15 Jahren deutsche Einheit beschreiben. Dieses aber bedarf natürlich einer differenzierten Betrachtung.

Erinnern wir uns: Vorgestern vor 16 Jahren, am 9. November 1989, ist die Mauer gefallen. Ein Ereignis von herausragender historischer Bedeutung, an das sich die überwältigende Mehrheit der Deutschen mit Freude und Dankbarkeit erinnert. Seit dem 13. August 1961 trennte ein „Todesstreifen“ die beiden Teile Deutschlands, an dem über 1.000 Menschen ihr Leben verloren.

Die Grenze, die unser Vaterland über Jahrzehnte geteilt hat, gibt es – Gott sei Dank! – nicht mehr. Gleichwohl sind die Folgen der Teilung immer noch spürbar: politisch, wirtschaftlich und auch mental.

„Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“, rief Willy Brandt am 10. November 1989 den Menschen in Berlin zu – einen Tag nach der Maueröffnung. Helmut Kohl, der Kanzler der Deutschen Einheit, prägte das Bild von den „blühenden Landschaften“. In der Bundestagsdebatte am 21. Juni 1990 sagte er: „Nur die rasche Verwirklichung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion bietet die Chance, dass Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg Sachsen und Thüringen bald wieder zu blühenden Landschaften werden können, in denen es sich für jeden zu leben und zu arbeiten lohnt.“.

Es gibt sie tatsächlich, die „blühenden Landschaften“ – in Thüringen und anderswo in den jungen Ländern. Wer sich daran erinnert, wie unsere Städte und Dörfer  Ende der 80er Jahre aussahen, erkennt sie heute kaum wieder: Die Dunst- und Staubglocken über den Industriestandorten sind verschwunden, die Innenstädte sind saniert und haben ihr historisches Gesicht zurückerhalten. Die Dörfer sind wieder lebenswert geworden. – in Thüringen und anderswo in den jungen Ländern. Wer sich daran erinnert, wie unsere Städte und Dörfer  Ende der 80er Jahre aussahen, erkennt sie heute kaum wieder: Die Dunst- und Staubglocken über den Industriestandorten sind verschwunden, die Innenstädte sind saniert und haben ihr historisches Gesicht zurückerhalten. Die Dörfer sind wieder lebenswert geworden.

Die Studie der Bertelsmann-Stiftung zum Standortwettbewerb der Länder bestätigt: Der Freistaat Thüringen macht gute Fortschritte – gegen den Bundestrend plus 0,41 Punkte beim Erfolgsindex! Zusammen mit Sachsen bilden wir das „ostdeutsche Spitzenduo“, wie es in der Studie heißt. , wie es in der Studie heißt.

Im Dynamik-Ranking der „Initiative Neue Soziale Marktwirschaft“ und der „Wirtschaftswoche“ verbesserte sich Thüringen um drei Plätze – und liegt jetzt auf Rang sieben, noch vor Baden-Württemberg. Die Wissenschaftler erklären diesen erfreulichen Sprung unter anderem mit einem deutlichen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes, einer hohen Arbeitsproduktivität und der geringsten Quote bei Firmeninsolvenzen.

Die Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass die „ökonomische Mauer“ inzwischen mitten durch den Osten verläuft – zwischen den stärkeren Ländern im Süden mit Sachsen und Thüringen und den schwächeren im Norden. inzwischen mitten durch den Osten verläuft – zwischen den stärkeren Ländern im Süden mit Sachsen und Thüringen und den schwächeren im Norden.

Schwarzmalerei ist nicht angebracht: Wir haben eine Lebensqualität erreicht, von der die Allermeisten zu DDR-Zeiten nicht einmal zu träumen wagten. Gemessen am realen Bruttoinlandsprodukt, ist der Lebensstandard in den jungen Ländern – ohne Berlin – zwischen 1991 und 2004 um 70 Prozent gestiegen.

Gleichwohl besteht kein Anlass zu Selbstzufriedenheit. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist nach wie vor unbefriedigend, viele Menschen machen sich deshalb zu Recht Sorgen.

Im Rückblick wird deutlich: Am 9. November 1989, der den Weg zur staatlichen Wiedervereinigung ebnete, herrschten nicht zuletzt im Westen falsche Vorstellungen vom wahren Zustand der DDR. Und außerdem gab es allzu euphorische Erwartungen über das Zusammenwachsen, über Geschwindigkeit und Folgen des Transformationsprozesses.

Nicht wenige sind enttäuscht und ernüchtert – und zwar auf beiden Seiten. Ja, es gibt sogar das törichte Gerede, die Mauer müsse wieder her. Der Schriftsteller Lutz Rathenow stellt dazu trocken fest: „Den Wiederaufbau der Mauer kann man sich als Nötigung zur stärkeren Wahrnahme eigener Probleme umso leichter herbeiwünschen, je weniger er droht. Ein so gigantisches Bauvorhaben wäre heute schon finanziell nicht mehr planbar – höchstens als EU-Maßnahme.“

Wie lässt sich diese Stimmungslage Einzelner erklären? Scheinbar einfache, monokausale Erklärungsversuche sind wenig hilfreich. Wir haben es – so meine ich – mit einem regelrechten Ursachengeflecht zu tun.

„Tickt der Osten anders?“ fragt der Jenaer Politikwissenschaftler Torsten Oppelland und antwortet mit einem wissenschaftlich abgewogenen „Ja und Nein“.

Ja! – weil es bis 1989, und darüber hinaus, eine „unterschiedliche Erfahrungswelt in Ost und West“ gegeben habe, die Spuren hinterlassen habe und nachwirke. Im Machtbereich der SED eine Diktatur, die auf Nicht-Anpassung aggressiv und repressiv reagierte, aber dem sogenannten Normalbürger ein hohes Maß an Sicherheit bot. Und jenseits der Mauer ein Prozeß der „Amerikanisierung und Verwestlichung“, wie Oppelland schreibt. gegeben habe, die Spuren hinterlassen habe und nachwirke. Im Machtbereich der SED eine Diktatur, die auf Nicht-Anpassung aggressiv und repressiv reagierte, aber dem sogenannten Normalbürger ein hohes Maß an Sicherheit bot. Und jenseits der Mauer ein Prozeß der „Amerikanisierung und Verwestlichung“, wie Oppelland schreibt.

Nein! – weil es die in den jungen Ländern vorherrschenden Einstellungsmuster auch im Westen gibt – die Annahme, hauptsächlich der Staat, nicht das Individuum, sei für fast alle Bereiche des Lebens verantwortlich.

Ein weiterer Grund, der enttäuschte Erwartungen verständlicher macht: Es wurden unter enormem Zeitdruck westdeutsche Institutionen, Organisationen und Verfahren quasi eins zu eins in den Osten übertragen, obwohl sie bereits damals stark reformbedürftig waren. Das wollte in den alten Ländern aber kaum jemand hören. Und in den jungen Ländern gab es die falsche Vorstellung, mit der D-Mark und dem importierten Gesellschafts- und Wirtschaftssystem der alten Bundesrepublik könne die staatliche Vollversorgung auf höherem Niveau fortgesetzt werden.

Bundespräsident Köhler hat es in seiner Rede zum 15. Jahrestag der Deutschen Einheit gesagt: „Zur Ehrlichkeit gehört, den Menschen zu sagen, dass nicht überall in Deutschland die gleichen Lebensbedingungen geschaffen werden können.“ In der Tat: Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, von der das Grundgesetz spricht, ist nicht zu verwechseln mit Gleichheit. In der Tat: Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, von der das Grundgesetz spricht, ist nicht zu verwechseln mit Gleichheit.

Landsmannschaftliche, regionale und auch zum Teil wirtschaftliche und soziale Unterschiede hat es in Deutschland immer gegeben – und sie wird es auch in Zukunft geben. Es sind doch gerade diese Unterschiede, die den Wert, die Stärke und Vielfalt des föderal strukturierten Bundesstaates ausmachen. Wir brauchen den Mut zu mehr Gestaltungs- und damit Wettbewerbsföderalismus.

Es ist sicher gut, dass wir, befreit von Illusionen, die Probleme und Herausforderungen des wiedervereinigten Deutschland klar benennen – und gemeinsam anpacken. Da sind die unerträglich hohe Arbeitslosigkeit, die im Osten der Republik immer noch mehr als doppelt so hoch ist wie im Westen, die horrende Staatsverschuldung auf Kosten nachfolgender Generationen, der drohende Kollaps der sozialen Sicherungssysteme und der dramatische demographische Wandel.

Der klare, unverfälschte Blick ergibt sich aber manchmal erst durch die Sicht von außen, aus einiger Distanz. Eine Budapester Tageszeitung – die Magyar Hirlap vom 21. September 2005 – kommentierte den Ausgang der Bundestagswahl mit folgenden Worten: „Deutschland ist das Land der abstrakten Reformsehnsüchte. Im allgemeinen ist jeder für Reformen, nur eben im konkreten Fall nicht.“ Sicher eine unbequeme Kritik, aber – so meine ich – durchaus berechtigt. Sicher eine unbequeme Kritik, aber – so meine ich – durchaus berechtigt.

Bei der Lösung der komplexen Problemfelder kommt es darauf an, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen – besonders aber die Existenzängste derjenigen, die keine Arbeit haben oder um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes fürchten. Wir dürfen deshalb aber als Politik nicht feige reagieren und mutlos sein oder nach dem Mund reden.

Dies gilt umso mehr, als die Ängste in der deutschen Bevölkerung zunehmen, wie Studien belegen. Es mag ja sein, dass Deutsche dafür besonders empfänglich sind. Aber wir dürfen diese Ängste nicht kultivieren. Angst ist ein schlechter Ratgeber! Denn – so sagt der Luxemburger Ökonom und Philosoph Guy Kirsch in einem kürzlich erschienenen Beitrag: „Ein gezieltes und konstruktives Handeln ist dem Verängstigten unmöglich.“ Wer verängstigt sei, der flüchte vor allem und jedem, reagiere aggressiv oder erstarre. Wer verängstigt sei, der flüchte vor allem und jedem, reagiere aggressiv oder erstarre.

Kirsch begründet diese „Bewegungsunfähigkeit“ mit einer „undefinierten Angst der Deutschen“ – als „Folge eines Ordnungsrahmens, der die Suche und das Angehen von konkreten Gefahren und Herausforderungen erschwert, gar unmöglich macht“. Mit anderen Worten: Es ist die mangelnde Bewegungsbereitschaft, die Folge einer zunehmenden, zum Teil jahrzehntelang gewachsenen Bevormundung, die den Menschen erst die Fähigkeit und schließlich auch den Willen nimmt, ihr Leben in Freiheit und eigener Verantwortung zu führen. mit einer „undefinierten Angst der Deutschen“ – als „Folge eines Ordnungsrahmens, der die Suche und das Angehen von konkreten Gefahren und Herausforderungen erschwert, gar unmöglich macht“. Mit anderen Worten: Es ist die mangelnde Bewegungsbereitschaft, die Folge einer zunehmenden, zum Teil jahrzehntelang gewachsenen Bevormundung, die den Menschen erst die Fähigkeit und schließlich auch den Willen nimmt, ihr Leben in Freiheit und eigener Verantwortung zu führen.

Wer aber mit den Ängsten der Bevölkerung spielt und diese sogar noch schürt, wer unfinanzierbare Versprechungen macht und so tut, als ob Deutschland ohne Reformen aus der Krise geführt werden könne, der handelt verantwortungslos und spielt den Gegnern der Demokratie in die Hände.

Zu einer verzagten Ängstlichkeit besteht kein Anlass! Was anderswo bei vielen unserer europäischen Nachbarn durch Zupacken gelingt, was die Nachkriegsgeneration in Deutschland unter ungleich schwierigeren Bedingungen geschafft hat, das können wir heute auch schaffen – mit Mut und Zuversicht!

Aber wie gewinnt man die Zweifler und Skeptiker für die Demokratie? Was können, was müssen wir tun, damit aus potentiellen Gegnern und unzufriedenen Demokraten zufriedene und überzeugte Anhänger der Demokratie werden?

Die Bürgerinnen und Bürger in den jungen Ländern, die bei der letzten Bundestagswahl Protestparteien an den Rändern gewählt haben, verbindet nach Ansicht des Jenaer Parteienforschers Torsten Oppelland ein ausgeprägtes Bedürfnis nach sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit. Soziale Gerechtigkeit, verstanden als Gleichheit, sei in der Bevölkerung Ostdeutschlands stark verwurzelt.

Ich bezweifle, das wir allein mit einer abstrakten Wertedebatte diese Menschen erreichen, so notwendig diese Diskussion auch ist. Was vor allem zählt, worauf es in erster Linie jetzt ankommt, sind Arbeitsplätze! Das heißt: individuell positive Demokratieerfahrung über konkrete Partizipation und Erfolgserfahrung. Und erlauben Sie mir die Bemerkung: Das war nach 1945 – nach Ende des II. Weltkriegs – nicht anders. Mit der Sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards wuchsen materieller Wohlstand und soziale Sicherheit. Und damit war die Akzeptanz der westlichen Demokratie verbunden.

Die Politische Kultur Westdeutschlands war bis Ende der 50er Jahre – also 15 Jahre nach militärischer Niederlage und Befreiung durch die westlichen Alliierten – gekennzeichnet durch eine Untertanenmentalität, die sich über Jahrhunderte herausgebildet hatte. „Die alten deutschen Tugenden wie Gehorsam und Unterordnung fanden größere Zustimmung als die demokratischen wie Selbständigkeit und freier Wille“, schreiben die Soziologen Martin und Sylvia Greiffenhagen, die sich dabei auf eine Vergleichsstudie der Amerikaner Gabriel Almond und Sidney Verba stützen., schreiben die Soziologen Martin und Sylvia Greiffenhagen, die sich dabei auf eine Vergleichsstudie der Amerikaner Gabriel Almond und Sidney Verba stützen.

Obrigkeitsstaatliche Traditionen haben – so das Ehepaar Greiffenhagen, in der DDR nicht nur fortgelebt, „sondern wurden durch die sozialistische Staatsbürokratie und SED-Herrschaft sogar noch verstärkt.“

Mitte der 50er Jahre gingen die Politikwissenschaftler Almond und Verba davon aus, dass es rund 100 Jahre dauern werde, bevor die Westdeutschen zuverlässige Demokraten würden.

Glücklicherweise haben sich die beiden Amerikaner in diesem Punkt geirrt. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch in den jungen Ländern den Prozess verkürzen können, der zur Entwicklung einer demokratischen Bürgerkultur notwendig ist.

Die Erziehungsinhalte, die während der zwölfjährigen Herrschaft der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei sowie in den 43 Jahren der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands galten, aber auch die noch älteren obrigkeitsstaatlichen Traditionen der Kaiserzeit – sie alle wirken leider nach!

Imre Kertész, der gleich zwei Diktaturen erlebt und erlitten hat, schreibt in seinem „Roman eines Schicksallosen“: „Wenn es ein Schicksal gibt, dann ist Freiheit nicht möglich. Wenn es aber die Freiheit gibt, dann gibt es kein Schicksal. Das heißt also, wir selbst sind das Schicksal.“

Wir haben vor 16 Jahren begonnen, die Erfahrung zu machen, wie viel Kraft im freien Denken steckt. Wir hatten den Mut zur Veränderung. Die friedliche Revolution hat gezeigt, dass ein totalitäres System der Freiheit nicht standhalten kann. Freiheit setzt Kräfte frei, im Privaten, in der Gesellschaft und auch in der Wirtschaft. Das ist unsere Erfahrung. Die sollten wir heute einbringen für den Reformprozess in ganz Deutschland.

Der Thüringen-Monitor 2005, den wir heute vorstellen, zeigt den Weg, den die Thüringerinnen und Thüringer in den letzten 15 Jahren gegangen sind. Er befasst sich mit wesentlichen Aspekten der Politischen Kultur in Thüringen, insbesondere mit den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen seit 1990. Gerade die Zusammenhänge zwischen den Positionen der Thüringerinnen und Thüringer zur Einheit und ihre Einstellung zur Demokratie werden deutlich.

Die Basis bildet – wie in den Vorjahren – eine wissenschaftliche Studie der Universität Jena, in der die Ergebnisse einer Telefonbefragung von „Infratest dimap“ zwischen dem 20. Juni und 3. Juli 2005 unter 1.000 wahlberechtigten Thüringerinnen und Thüringern ausgewertet wurden.

Ich danke dem Forscherteam für seine umfangreiche Arbeit – ein gelungener Beitrag zum besseren Verständnis der Politischen Kultur im Freistaat Thüringen!

Bei den Einstellungen und Empfindungen zur Herstellung der staatlichen Einheit überwiegen die positiven Beurteilungen sehr deutlich: Insgesamt ziehen 82 Prozent die Vereinigung beider deutscher Staaten einem Weiterbestehen der DDR vor. Und 71 Prozent empfinden die Beendigung des SED-Regimes als Befreiung.

Befragte mit niedrigerem Bildungsabschluß sowie finanziell schwächer gestellte Personen haben die meisten Probleme mit der Wiedervereinigung: 22 Prozent der Befragten, die ihre wirtschaftliche Situation als weniger gut oder schlecht bewerten, sind der Meinung, dass es besser wäre, wenn es eine eigenständige DDR geben würde. Das glauben auch 19 Prozent der Frauen, 10 Prozent der Männer, 18 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer mit Hauptschulabschluß bzw. Mittlerer Reife und 8 Prozent der Abiturienten. Eine bemerkenswerte Differenzierung.

Über die konkrete Gestaltung der Einheit gibt es unterschiedliche Meinungen. 54 Prozent aller Thüringerinnen und Thüringer sehen für sich persönlich mehr Vor- als Nachteile. Besonders erfreulich ist, dass 63 Prozent der 18 bis 24-Jährigen und sogar 66 Prozent der 25 bis 34-Jährigen meinen, dass für sie persönlich die Vorteile der Vereinigung überwiegen.

Nach wie vor hält sich die Mär, dass der Sozialismus als Idee gar nicht so schlecht sei. Obwohl diese Ideologie auf deutschem Boden und anderswo gescheitert ist, hält fast ein Drittel der Befragten den Sozialismus immer noch für die überlegene Staatsidee. 23 Prozent der Befragten wollen sogar zur sozialistischen Ordnung zurückkehren. Das sind m.E. zwar noch zu viele, aber glücklicherweise doch weniger, als der Anteil derjenigen, die dieses Ziel hier in diesem Hause vertreten.

In der Regierungserklärung zur Vorstellung des letztjährigen Thüringen-Monitor habe ich gesagt: „Bei der Lösung der aktuellen Probleme helfen uns ‚ostalgisch’ verklärte Rückblicke auf ein System, dass die Lebenschancen vieler Menschen beeinträchtigt oder gar zerstört hat, nicht weiter.“ Dennoch muss man dies verstehen: Verklärung ist kein Ostphänomen. Es ist eine menschliche Eigenschaft, die überall anzutreffen ist: Schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit treten in den Hintergrund; man erinnert sich an die schönen Seiten.

Dies macht auch ein Vergleich mit früheren Studien deutlich, wenn heute mehr Thüringer die deutsche Einheit skeptisch bewerten. Die Freude über die überwundene Teilung wird getrübt durch die Sorge über die Probleme, die mit dem anhaltenden Transformationsprozess verbunden sind.

Zwar wird die Bundesrepublik Deutschland insgesamt deutlich besser bewertet als die DDR – sowohl aktuell als auch in der Erinnerung an das Jahr 1990. Aber: Die Forscher stellen auch fest, dass das DDR-Bild im Rückblick „bemerkenswert aufgehellt“ erscheint – gemessen an den tatsächlichen Protesten und Zuständen zur Wendezeit.

Nur 30 Prozent der Befragten sagen heute, sie hätten die DDR 1990 negativ beurteilt. Und gerade zwei Prozent mehr, also 32 Prozent, beurteilen die DDR aus jetziger Sicht negativ.

Dass eine positive Einstellung zur DDR vor allem unter den Älteren anzutreffen ist, kann nicht überraschen. Denn, so sagen die Forscher: „Je länger der Lebensabschnitt ist, der in der DDR verbracht wurde, umso schwerer fällt es, dieser Zeit mehr schlechte als gute Seiten abzugewinnen.“

Die Wissenschaftler erklären diesen auffällig verklärten Blick damit, dass „die Befragten faktisch im Rückblick ihr eigenes Leben in der DDR beurteilen“, weniger also das politische System. Dies ist aber zugleich diejenige Gruppe, die sich zu 89 Prozent über die Wiedervereinigung freut.

Wir benötigen also beides – Kritik und Verständnis! Sowohl die gezielte Aufklärung im Schulunterricht, durch Stiftungen und Gedenkstätten über das Unrecht des SED-Regimes, das nicht verdrängt werden darf, die Vermittlung historischer Kenntnisse über Ausmaß und Folgen der Unfreiheit.

Aber ebenso wichtig ist es, die individuellen Lebensleistungen stärker anzuerkennen. Die individuellen Lebensentwürfe der Menschen zu respektieren, die weder zu den Tätern zählten noch sich als Opfer gesehen haben, die aber unter den Bedingungen einer Diktatur leben mussten, ist eine wesentliche Voraussetzung für gemeinsame Kenntnis und ein gemeinsames Verständnis.

Die Ergebnisse der Studie zeigen einmal mehr, dass wir – viel stärker als bisher – unterscheiden müssen zwischen dem System und der persönlichen Situation der Menschen.

Zu den Lebensbereichen, die von der Mehrheit der Befragten im Rückblick als sehr positiv bewertet werden, zählen das DDR-Bildungswesen, die Gesundheitsversorgung und die Entwicklungschancen von Kindern.

Mir ist wichtig, dass wir heute ein Bildungssystem haben, das nicht mehr indoktriniert, dass Kinder individuell gefördert werden, dass das Elternrecht gestärkt wurde und man den Menschen heute mehr zutraut und vertraut, als dies früher der Fall war. Und zum Gesundheitssystem möchte ich nur anfügen: das Krankenversicherungssystem hat Mängel und muss unbedingt reformiert werden, aber die Gesundheitsversorgung an sich ist in Thüringen vorbildlich.

Der größte Einflussfaktor liegt – so die Wissenschaftler – in der Beurteilung der eigenen finanziellen Situation.

Dagegen spielt die Wahrnehmung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage eine untergeordnete Rolle, die – im Vergleich zu 1990 – von 53 Prozent der Befragten als etwas bzw. viel besser beurteilt wird. Ein überraschend niedriger Wert, wenn man bedenkt, wie marode die DDR-Planwirtschaft war und wieviel seit 1990 aufgebaut worden ist.

Entscheidend ist die finanzielle Situation der Thüringerinnen und Thüringer, die sich – nach eigener Wahrnehmung – im Vergleich zu 2004 deutlich verschlechtert hat. Der Rückgang um 12 Prozentpunkte spiegelt den enger gewordenen finanziellen Spielraum wider. Nur noch knapp die Hälfte beurteilt ihre persönliche Situation als gut bzw. sehr gut.

Fast 60 Prozent der Befragten in schlechter finanzieller Lage verbinden mit der Vereinigung mehr Nachteile, während es umgekehrt bei einem zufriedenstellenden Kontostand nur 10 Prozent sind, die Nachteile sehen.

Der Maßstab, der hier offensichtlich zur Bewertung der Deutschen Einheit angelegt wird, bemisst sich Euro und Cent. Eine – wie ich finde – bedenkliche Einstellung, die wir nicht einfach ignorieren dürfen. Die Studie zeigt: Die Deutsche Einheit, der Sieg der Freiheit, wird vor allem unter materiellen Gesichtspunkten bewertet – und zwar wie sie individuell erlebt werden. Nicht das Maß der bürgerlichen Freiheiten, der Rechtsstaat und die Demokratie, die mit der friedlichen Revolution von 1989 und dem Beitritt zur Bundesrepublik gewonnen wurden, entscheiden letztlich über die Bewertung.

Einheitsbefürworter unterscheiden sich von den Einheitsgegnern im Wesentlichen durch zwei Aspekte: Erstens: die Verfügung über finanzielle Mittel, mit denen Verwerfungen im Transformationsprozess kompensiert werden können. Und zweitens: durch den vergleichsweise geringeren Verlust von Vorteilen, die die Einheitsgegner zu DDR-Zeiten besaßen.

Problematisch ist auch das weitverbreitete Gefühl der sozialen Desorientierung, die Empfindung, man sei mit den gesellschaftlichen Veränderungen überfordert. Die Forscher verwenden dafür den Begriff der Anomie. Die Aussage „Heute ändert sich alles so schnell, dass man nicht weiß, woran man sich halten soll“ bejahen fast 80 Prozent der befragten Thüringerinnen und Thüringer. bejahen fast 80 Prozent der befragten Thüringerinnen und Thüringer.

Bemerkenswert ist die Feststellung, dass sich unter den sozial Desorientierten sowie unter den Befragten mit autoritärer Persönlichkeitsstruktur jeweils dreimal so viele Einheitsgegner befinden wie in den Kontrastgruppen.

Selbst nach 15 Jahren staatlicher Einheit meinen noch fast 60 Prozent der Befragten, dass sie durch Westdeutsche abwertend behandelt würden, ein Fünftel stimmt dieser Aussage ohne Vorbehalte zu. Dabei handelt es sich aber überwiegend um Vorurteile und Unkenntnis, die es nach wie vor gibt – in West und Ost. Denn: Bei denjenigen Thüringerinnen und Thüringern, die wöchentlich Kontakt mit ihren westdeutschen Landsleuten haben, glaubt dies nur eine – wenn auch starke – Minderheit von 43 Prozent. Dort, wo es überhaupt keine Verbindungen zu Bürgern aus den alten Ländern gibt, fühlen sich erstaunlicherweise über 70 Prozent diskriminiert.

Ich bin überzeugt: Wer Arbeit hat, wer offen ist für Kontakte zu Menschen aus allen Ländern – im beruflichen oder privaten Bereich –, der verliert auch schrittweise das Gefühl der wirtschaftlichen Benachteiligung, der fühlt sich auch weniger als Ostdeutscher diskriminiert oder ungerecht behandelt, der findet wieder Halt und Orientierung.

„Wer über Freiheit reden, aber über Geld schweigen will, sollte lieber gleich ganz den Mund halten“, las ich kürzlich in der Frankfurter Rundschau [15.10.2005]. Ich meine: Diese Aussage lässt sich mit einiger Berechtigung auch umdrehen. Wer über Geld und Konsum redet, aber über Freiheit und andere Werte schweigen will, der vergisst, dass Werteverständnis und Wertepräferenz auch die Wahrnehmung der Deutschen Einheit beeinflussen – und die Beantwortung der Frage, wie wir die zweite Halbzeit beim Aufbau Ost gewinnen. Genau darum geht es aber bei der weiteren Gestaltung Deutschlands und der Deutschen Einheit. Deshalb sind die Wertepräferenzen wichtig.

Auch in diesem Jahr gibt der Thüringen-Monitor darüber Aufschluss, welchen grundlegenden Werten sich die Thüringer verpflichtet fühlen. Dabei ist festzustellen, dass die im Vorjahr – im Vergleich zu den anderen jungen Ländern – hohe Wertschätzung der Freiheit stark abgenommen hat und sich nur noch knapp vor den Gleichheitsidealen behaupten kann.

Für 48 Prozent der Befragten ist die Freiheit wichtiger als die Gleichheit, für die sich 46 Prozent aussprechen. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr betrug das Verhältnis 60 zu 36 Prozent.

Bei der Alternative Freiheit oder soziale Sicherheit konstatieren die Forscher ebenfalls eine weitere Verschiebung zu Lasten der Freiheit. Nur noch ein Fünftel der Thüringerinnen und Thüringer entscheidet sich für die Freiheit, fünf Prozentpunkte weniger als 2004.

Befragte, die in beiden Kombinationen der Freiheit den Vorzug geben, sind in Thüringen eine Minderheit von 15 Prozent. Eine bedenkliche Entwicklung, die andeutet, dass der freiheitliche Staat – im Gegensatz zum Versuch oder dem Wunsch nach staatlicher Vollversorgung – gerade in einer schwierigen Wirtschaftslage, in der wesentliche Strukturreformen zwingend sind, an Unterstützung verliert. Aber immerhin unterstützt noch eine Mehrheit von 52 Prozent den Staat, der seinen Bürgern maximale Freiheit gewähren will.

Zweifellos stellt neben der Freiheit die Gerechtigkeit eine übergeordnete Zielvorstellung dar, der sich Politik und Gesellschaft verpflichtet fühlen. Aber die Frage, was gerecht, was angemessen und fair ist, birgt natürlich Konfliktpotential.

Es gibt verschiedene Gerechtigkeitsbegriffe, die miteinander konkurrieren und die von den Menschen – je nach Interessenlage und individuellen Fähigkeiten – unterschiedlich akzentuiert werden. Nur ein Beispiel: Wer unter Gerechtigkeit vor allem Leistungsgerechtigkeit versteht, der möchte auch leistungsgerecht bezahlt werden und mehr verdienen als diejenigen, die weniger leisten wollen oder können.

Wenn aber eine Gesellschaft über gigantische Umverteilungsapparate jedem möglichst das Gleiche zukommen lässt, wenn sie Ungleiches gleich behandelt, dann bleibt der Leistungsgedanke auf der Strecke. Und schließlich stehen immer weniger Mittel für den notwendigen sozialen Ausgleich zur Verfügung.

Worauf es mir ankommt, ist, die Anreize für individuelle Leistungsbereitschaft in unserer Gesellschaft zu stärken und deutlich zu machen, dass der notwendige soziale Ausgleich differenziert, maßvoll und effizient gestaltet werden muss.

Beim Thema Gerechtigkeit, das auch im letzten Bundestagswahlkampf eine große Rolle gespielt hat, gibt es in der Wahrnehmung der Thüringerinnen und Thüringer keine Veränderung. Nach wie vor bewerten drei von vier Befragten die erlebte Gesellschaft als ungerecht, sogar viele Thüringer, die sich persönlich fair behandelt fühlen, sind dieser Meinung.

Die Forscher sprechen von einer „schweren Hypothek“, die mit diesem Gerechtigkeitsempfinden verbunden ist. Aber was ist gerecht, was verstehen die Menschen unter sozialer Gerechtigkeit? , die mit diesem Gerechtigkeitsempfinden verbunden ist. Aber was ist gerecht, was verstehen die Menschen unter sozialer Gerechtigkeit?

Ist es gerecht, wenn ich meine persönliche Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit weitgehend verliere, weil der Staat meint, vieles bis ins kleinste Detail regeln und damit die Eigeninitiative im Keim ersticken zu dürfen?

Ist es gerecht, dass der ausufernde und längst unfinanzierbare Umverteilungsstaat die Ressourcen aufsaugt, die der Einzelne viel besser und effektiver einsetzen könnte?

Ist es gerecht, dass wir über Gebühr auf Kosten der nachfolgenden Generationen leben, nur weil wir unwillig sind, mit dem auszukommen, was wir selbst erarbeiten?

Ist es gerecht, dass in Deutschland seit Jahren Millionen von Menschen arbeitslos sind – auch weil wir nicht alles tun, um die Verkrustungen auf dem Arbeitsmarkt endlich aufzubrechen?

Es lohnt sich, über diese Fragen nachzudenken. Europa ist an dieser Stelle eine Hilfe und eine Herausforderung. Wir brauchen neue Antworten auf die Frage: Was ist sozial gerecht? Und wir dürfen diese Antwort nicht denjenigen in der Gesellschaft überlassen, die sich so gern als soziales Gewissen darstellen und die Deutungshoheit über den zentralen Begriff der sozialen Gerechtigkeit beanspruchen.

Fest steht: Solange mit sozialer Gerechtigkeit vor allem Gleichheit und damit Umverteilung und Nivellierung assoziiert wird, lassen wir die Chancen der Freiheit ungenutzt. Es geht um die „Ordnung der Freiheit“, wie Bundespräsident Köhler in seiner Rede am 15.März 2005 sagte, wenn wir Deutschland zukunftsfähig machen wollen.

Inwieweit gibt es Zusammenhänge zwischen der Bewertung der Einheit und den Einstellungen der Thüringer zur Demokratie? Auch dieser Frage sind die Wissenschaftler nachgegangen. Sie vermuten, dass sich die beiden Bewertungsmuster gegenseitig beeinflussen. Mit anderen Worten: Wer von der Idee der Demokratie überzeugt ist, der bewertet auch die Einheit positiv. Umgekehrt wirkt eine negative Bewertung des Transformationsprozesses auch auf die Beurteilung der Demokratie zurück.

Zunächst fällt das ausgeprägte politische Interesse der Thüringerinnen und Thüringer auf: Mit knapp 41 Prozent liegt dieser Wert um etwa zehn Prozentpunkte über dem Ergebnis der anderen jungen Länder. Ein, wie ich finde, bemerkenswertes, erfreuliches Resultat.

Gleichwohl konnten vier von zehn Thüringern, die sich selbst als politisch interessiert bezeichnen und damit auch eine höhere Eigenkompetenz zuschreiben, den Tag der Wiedervereinigung nicht korrekt terminieren. Ein nicht minder bemerkenswertes Ergebnis.

Entweder haben die Befragten bei der Selbstauskunft über ihr politisches Interesse übertrieben – oder das historisch einschneidende Ereignis der Wiedervereinigung spielt in der aktuellen Befindlichkeitslage der direkt Betroffenen nicht die Rolle, die man eigentlich erwarten könnte.

Nach wie vor unterstützen vier von fünf Thüringern die Demokratie als Staatsidee, demokratische Werte und Verfassungsordnung werden hoch bewertet.

Allerdings hat die Unzufriedenheit mit der Demokratie, so wie sie in der Praxis funktioniert, um rund zehn Prozentpunkte zugenommen und liegt damit wieder auf dem Niveau des Jahres 2003. Wir müssen ernst nehmen, dass es mehr unzufriedene als zufriedene Demokraten gibt. Die im vergangenen Jahr erhoffte Trendumkehr ist leider nicht eingetreten.

Von dem Vertrauensverlust, der die politiknahen Institutionen erfasst, ist die Landesregierung geringfügig, vor allem aber die abgewählte Regierung Schröder betroffen. Ihr vertrauten nach der Umfrage nur noch 15 Prozent der Thüringer, während 34 Prozent der Landesregierung ihr Vertrauen schenkten.

Politische Teilhabe findet statt – am häufigsten als Teilnehmer einer genehmigten Demonstration: 32 Prozent haben das schon mal getan und 47 Prozent würden es tun.

Die Bereitschaft, in einer politischen Partei mitzuarbeiten, ist begrenzt: Es käme für 21 Prozent in Frage, nur 12 Prozent haben es tatsächlich getan. Das Bewusstsein, dass es in einer Demokratie auf die Beteiligung jedes Einzelnen ankommt, ist erfreulicherweise gestiegen. Aber für eine Mehrheit der Befragten zählt nach wie vor nur das Ergebnis, sie sind output-orientiert.

Fehlendes politisches Engagement erklären die Forscher mit drei auffälligen Persönlichkeitsmerkmalen: autoritäre Einstellungen, das Gefühl sozialer Desorientierung sowie die Geringschätzung der Kritikfähigkeit. Hier müssen wir ansetzen, und zwar schon bei der Erziehung. Die Eltern sind besonders gefordert, aber auch die Schule.

Wenn es darüber hinaus stimmt, dass in Deutschland – und besonders in den jungen Ländern – die Akzeptanz des politischen Systems stark von seiner ökonomischen Effizienz abhängt, dann kann man diesen Aspekt der Politischen Kultur zurecht beklagen, aber man darf ihn nicht ignorieren.

Wer die Einstellungen zur Demokratie beleuchtet, der muss sich auch mit der Problematik von Extremismus und Fremdenfeindlichkeit auseinandersetzen.

Der Innenminister wird in der anschließenden Debatte ausführlich zu diesem Themenkomplex Stellung nehmen – auch zu dem repressiven und präventiven Instrumentarium, das bei der Auseinandersetzung mit Extremisten zur Verfügung steht. Ich beschränke mich daher auf wenige wesentliche Bemerkungen.

Die Stimmenzuwächse für die Protestparteien sind alarmierend. Mehr als ein Viertel der Wähler hat am 18. September ihre Stimme der Linkspartei gegeben. Und die NPD hat ihren Zweitstimmenanteil in Thüringen – im Vergleich zu 2002 – vervierfacht und liegt jetzt bei 3,7 Prozent.

Zweifellos steckt hinter diesen Stimmen nicht automatisch eine ex-tremistische Gesinnung. Aber wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass die Zahl der Menschen wächst, die für extremistische Propaganda, gleich welcher Couleur, empfänglich sind – übrigens auch in den alten Ländern. Warum ist das so?

Eine Studie, die Wissenschaftler der Universität Bonn, des Instituts zur Zukunft der Arbeit [IZA] und der Universität Zürich im März dieses Jahres herausgeben haben, belegt einen ebenso komplexen wie signifikanten Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und Arbeitslosigkeit. Danach gab es in den letzten Jahren in den jungen Ländern rund dreimal so viele rechtsextreme Straftaten pro Einwohner wie in Westdeutschland. 80 Prozent dieser Diskrepanz führen die Forscher auf unterschiedlich hohe Arbeitslosenzahlen in Ost und West zurück.

Demnach gelte ab einer kritischen Mindestarbeitslosigkeit folgende Faustregel: Je höher die Arbeitslosenquote, desto mehr rechtsextreme Straftaten werden verübt.

Das bedeutet aber nicht, dass rechtsextreme Straftaten vor allem von Arbeitslosen begangen werden – das ist wichtig. Vielmehr entsteht ein Klima, in dem die Bereitschaft steigt, politische Ziele mit Gewalt durchzusetzen. Gleichzeitig wächst die Angst vor dem und den Fremden.

60 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer haben „ausgeprägte Überfremdungsängste“, obwohl der Ausländeranteil nur etwa zwei Prozent beträgt. Wir müssen diese Entwicklung ernst nehmen, das Kennenlernen von Ausländern, die Begegnung mit dem Fremden fördern. Andererseits erwarten die Thüringerinnen und Thüringer zu recht, dass sich Ausländer, die bei uns wohnen, auch integrieren. , obwohl der Ausländeranteil nur etwa zwei Prozent beträgt. Wir müssen diese Entwicklung ernst nehmen, das Kennenlernen von Ausländern, die Begegnung mit dem Fremden fördern. Andererseits erwarten die Thüringerinnen und Thüringer zu recht, dass sich Ausländer, die bei uns wohnen, auch integrieren.

Thüringen ist ein weltoffenes Land, das seine Zukunft im zusammenwachsenden Europa findet. Wir müssen die Bevölkerung auf diesem Weg mitnehmen – auch damit sie die Chancen für sich nutzt.

Aber der diesjährige Thüringen-Monitor zeigt darüber hinaus, dass es noch einen weiteren bedeutsamen Zusammenhang gibt: zwischen Rechtsextremismus und dem Wunsch nach einer Rückkehr zur sozialistischen Ordnung. Wörtlich heißt es: „Entgegen dem antifaschistischen Selbstverständnis des einstigen ‚Arbeiter- und Bauernstaats’ ist dieser Zusammenhang positiv.“

Die Antidemokraten, das heißt diejenigen, die „im nationalen Interesse unter bestimmten Umständen auch eine Diktatur für die bessere Staatsform“ halten, fallen – so die Studie –, „durch eine größere Neigung zur Idee des Sozialismus“ auf. unter bestimmten Umständen auch eine Diktatur für die bessere Staatsform“ halten, fallen – so die Studie –, „durch eine größere Neigung zur Idee des Sozialismus“ auf.

Nicht jeder Extremist wendet Gewalt an, um seine politischen Ziele zu erreichen. Aber wer Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung ansieht, steht mit einem Fuß bereits im extremistischen Lager. Auch deshalb ist es problematisch, dass mehr als 20 Prozent der 18 bis 24-Jährigen bereit sind, ihre politischen Ziele mit Gewalt durchzusetzen.

Friedliche Konfliktlösung muss elementarer Bestandteil der Erziehung sein. Dies muss eingeübt werden in den Familien, die eine wesentliche Integrationsleistung für die gesamte Gesellschaft erbringen.

Weitere wichtige Impulse zur friedlichen Konfliktlösung leisten die Schulen und die in der Jugendarbeit tätigen Vereine und Initiativen. Jeder von uns muss Vorbild sein. Die sich anbahnende Große Koalition in Berlin z.B. zeigt, dass – trotz unterschiedlicher politischer Orientierungen – Ziele und Kompromisse unter Beachtung demokratischer Spielregeln vereinbart werden können.

Wir Thüringerinnen und Thüringer können stolz sein auf das, was wir in den zurückliegenden 15 Jahren aufgebaut und geleistet haben. Ich bin allen dankbar, die geholfen haben, unsere Heimat voranzubringen – denen, die im Land zugepackt und die Chancen des Neuanfangs genutzt haben, aber auch denen, die uns dabei mit Geld, pfiffigen Ideen und ehrlichem Engagement unterstützt haben.

„Wenn man die Menschen für das Bootbauen begeistern will, muss man ihnen die Sehnsucht nach dem Meer vermitteln“, hat der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry gesagt.

Die Menschen in Thüringen haben gezeigt, dass sie begeisterte Bootbauer sind. Sie wollen in ihrer Mehrzahl frei leben und arbeiten, sie wollen ihre persönlichen Wünsche verwirklichen, sie schätzen eine bunte Medienlandschaft höher als den früheren SED-Parteijargon und sie wissen um den Wert des Austausches von Wissenschaft und Kultur, die Begegnung von Menschen.

Jetzt geht es darum, die Sehnsucht nach dem Zielhafen zu vermitteln, damit die Menschen den Kurs fortsetzen – auch in der gegenwärtigen Wirtschaftsflaute. Mit anderen Worten: Jedes Besatzungsmitglied – und damit meine ich jede Thüringerin und jeden Thüringer – muss nach vorn rudern, eine Rückkehr zu alten Ufern ist ausgeschlossen.

„Die Kultur der Freiheit lebt von hohen Erwartungen an jeden einzelnen Menschen“, sagt Udo di Fabio, Richter am Bundesverfassungsgericht. Und er macht deutlich: „Der freie Mensch soll etwas leisten, soll etwas geben, bevor er etwas von anderen verlangt.“

Ohne Zweifel: Das wird Kraft kosten. Aber weil wir für Thüringen und seine Menschen eine positive Zukunftsperspektive wollen, lohnt sich der Einsatz.

Wie stelle ich mir unser Land im Jahr 2020 – nach Ablauf des Solidarpaktes II – vor?

Als ein modernes Land, das sich seiner Verantwortung für die kommenden Generationen bewusst ist und deshalb nicht mehr ausgibt als es einnimmt,

als ein kinder- und familienfreundliches Land, das sich über steigende Geburtenraten freuen kann, weil Kinder als Bereicherung empfunden werden, weil sie in einem Klima aufwachsen, um das uns andere Länder beneiden, ein Klima, zu dem jeder Einzelne etwas Positives beisteuert,

als einen innovativen Wirtschaftsstandort mit moderner Infrastruktur – ich hoffe der ICE fährt dann auf der Hochgeschwindigkeitstrasse von Erfurt nach Berlin –, als einen Wirtschaftsstandort, der einen selbsttragenden Aufschwung vorweisen kann und nicht nur unter den jungen Ländern, sondern bundesweit eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten verzeichnet und über ein ausreichend qualifiziertes Fachkräftepotenzial verfügt,

als die dynamische Region Mitteldeutschlands, in der es mehr Ein- als Auspendler, mehr Zu- als Abwanderer gibt,

als ein weltoffenes Land, in der die politischen Ränder marginalisiert sind und Extremisten – gleich welcher Couleur – keine Chance haben,

als ein Land mit einer aktiven Bürgerkultur, in der Demokratie und Freiheit als Werte an sich erkannt, geschätzt und verteidigt werden,

als ein Land, dass die Chancen der Freiheit in den zurückliegenden 30 Jahren konsequent genutzt hat.

Ich bin kein Prophet, der Ihnen sagen könnte, wie die Zukunft aussieht. Aber ich bin sicher: Jede demokratische Partei, jede Thüringerin und jeder Thüringer kann dazu beitragen, dass wir diese Ziele erreichen! Dafür müssen aber auch die bundespolitischen Rahmenbedingungen stimmen.

Die Aufgaben, vor die unser Land – nicht nur Thüringen – steht, sind gewaltig. Bundespräsident Köhler hat es gesagt: „Unsere Zukunft und die unserer Kinder stehen auf dem Spiel. Millionen von Menschen sind arbeitslos, viele seit Jahren. Die Haushalte des Bundes und der Länder sind in einer nie da gewesenen, kritischen Lage. Die bestehende föderale Ordnung ist überholt. Wir haben zu wenig Kinder, und wir werden immer älter. Und wir müssen uns im weltweiten, scharfen Wettbewerb behaupten.“

Deshalb mein Appell an die Große Koalition, die sich in Berlin anbahnt: ...

Auch für Thüringen gibt es keine einfachen Lösungen. Der Weg, den wir gehen müssen, ist steinig. Aber es ist der einzig gangbare Weg, der zum Ziel führt. Ich zitiere Ludwig Erhard, den Vater der Sozialen Marktwirtschaft: „Erst auf dem Boden einer gesunden Wirtschaft kann die Gesellschaft ihre eigentlichen Ziele erfüllen.“

Das ist für Thüringen und die anderen jungen Länder von existentieller Bedeutung. Es muss darum gehen, die Regionen Ostdeutschlands weiter zu einem zukunftsfähigen Lebensraum zu entwickeln, zu einer lebens- und liebenswerten Heimat, die auf einem soliden wirtschaftlichen und sozialen Fundament steht.

Thüringen muss den eingeschlagenen Reformweg fortsetzen: Die Landesregierung vertritt eine nachhaltige und glaubwürdige Politik, die über den zeitlichen Rahmen einer Legislaturperiode hinausgeht. Wir müssen uns etwas zutrauen, weil wir für die Thüringerinnen und Thüringer eine gute Zukunft wollen.

In meiner Regierungserklärung am 9. September 2004 habe ich angekündigt, dass diese Politik auch Zumutungen und individuelle Härten bedeutet. Wie der Bundespräsident es für ganz Deutschland formuliert hat, bin ich der festen Überzeugung, dass dieser Weg für den Freistaat ohne Alternative ist.

Wir sagen, was wir tun, und wir tun, was wir sagen:

Die Verwaltungsstrukturreform ist eingeleitet, das Haushaltsbegleitgesetz mit vielen Gesetzesnovellen liegt vor, und wir betreiben konsequent die nötige Haushaltskonsolidierung. Weitere Schritte folgen.

Jeder weiß, die Kassen sind leer. Die unerträglich hohe Arbeitslosigkeit verursacht nicht nur hohe Kosten im Sozialbereich, sondern verringert die Steuereinnahmen. Die demographische Entwicklung wird zu weiteren Einnahmeverlusten führen. Gleichzeitig werden die Sonderleistungen zur Bewältigung der Teilung unseres Vaterlandes 2019 auslaufen. Wir müssen daher sparen. Aber wir sparen mit Augenmaß. Das bedeutet, vor allem die konsumtiven Ausgaben zu kürzen, um den Spielraum für Investitionen so weit wie möglich zu erhalten.

Schlanker Staat – das heißt Deregulierung, Entbürokratisierung und auch Personalabbau. Auf Dauer müssen wir uns an den Personalausstattungsquoten der alten Länder orientieren, die derzeit bei rund 19,5 Beschäftigen im öffentlichen Dienst pro 1.000 Einwohner liegt – Tendenz sinkend! Deshalb habe ich in der Regierungserklärung am 9. September 2004 angekündigt, dass etwa 7.400 Stellen bis zum Jahr 2009 in der Landesverwaltung abgebaut werden.

Der demographische Wandel in Thüringen, in Deutschland und weiten Teilen Europas ist Realität.

Es wird neben der angesprochenen Politik vor allem um die Gesamtattraktivität des Landes gehen. Wir müssen die Wachstums- bzw. Schrumpfungsentwicklungen im Auge behalten!

Kinder sind Zukunft. Deshalb stärken wir mit der Thüringer Familienoffensive die Familien. Nur ein Beispiel: Künftig haben alle Kinder bereits ab zwei Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz – damit wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert. Die Eltern können frei entscheiden, in welchen Kindergarten ihr Nachwuchs geht. Wichtig dabei ist: Das lückenlose Netz an Kindertageseinrichtungen und die hohe Qualität der Betreuung bleiben erhalten.

Bildung sichert Zukunft! Deshalb gehören Bildung und Erziehung zu den Schwerpunkten der Thüringer Landespolitik. Die Ergebnisse des PISA-Ländervergleichs [2003] zeigen: Unser Land hat sich in allen untersuchten Kompetenzbereichen – Mathematik, Naturwissenschaften, Problemlösen und Lesen – deutlich verbessert und belegt jetzt bundesweit einen guten vierten Platz. Auch in den anderen Bereichen kann sich der Freistaat sehen lassen. Diese Resultate bestätigen mich in meiner Auffassung, dass wir mit unseren Bildungskonzepten auf dem richtigen Weg sind.

Es ist wichtig, gerade jungen Menschen Kenntnisse über die historischen Zusammenhänge zu vermitteln – in der Hoffnung, dass wir auch künftig aus den leidvollen Erfahrungen mit zwei überstandenen Diktaturen, die es im 20. Jahrhundert auf deutschem Boden gab, die richtigen Konsequenzen ziehen. Dazu trägt auch das umfangreiche Angebot der Landeszentrale für politische Bildung bei. Ich danke der Landeszentrale, den Grenzlandmuseen und Stiftungen, allen, die mit ihrer Arbeit die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen und die Schrecken des SED-Regimes wach halten und sich für eine demokratische Bürgerkultur einsetzen.

15 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands beginnt die zweite Halbzeit. Aber, um im Fußballjargon zu bleiben, auf dem Spielfeld kämpfen nicht Ost gegen West, sondern eine Reformmannschaft aus allen Teilen Deutschlands gegen ein ebenfalls gesamtdeutsches Team der Skeptiker und Besitzstandswahrer, also gegen die reformunwilligen Kräfte, die sich über die Zeit retten wollen.

Wir müssen reformieren, den ordnungspolitischen Rahmen anpassen, damit die innovativen und kreativen Unternehmen wachsen können.

In Thüringen steht die Legislaturperiode unter dem Motto Wirtschaft, Familie, Bildung. Wir wollen die Familien stärken, die Bildung weiter verbessern und nicht zuletzt durch Wirtschaftswachstum Arbeit schaffen. Die politischen Entscheidungen der letzten Monate dienen genau diesen Zielen. Sie dienen damit auch der Politischen Kultur in unserem Land.

Wenn es der Großen Koalition gelingt, durch klare ordnungspolitische Entscheidungen Deutschland zu neuer Wachstumsdynamik zu führen, bedeutet das Rückenwind für unsere Entwicklung.

Es bleibt aber neben den konkreten Reformen die wesentliche Aufgabe aller Demokraten, unmissverständlich deutlich zu machen: Die freiheitliche Demokratie ist ein Wert an sich! Freiheit ist nicht alles – aber ohne Freiheit ist alles nichts! Ihre Qualität für den Einzelnen und für die Gesellschaft definiert sich nicht in erster Linie nach wirtschaftlichen Kriterien.

Worauf es ankommt, was wir nie preisgeben dürfen, sind die in Jahrhunderten erkämpften Menschenrechte und die bürgerlichen Freiheiten. Sie zeichnen – selbst in einer wirtschaftlich schwierigeren Lage – die Demokratie aus und sind Grundbedingung für jeden Wohlstand.

Die Fundamente, auf denen wir stehen, sind fest gefügt, die Orientierungslinien Menschenwürde, Freiheit und Gerechtigkeit haben Bestand und prägen unser Handeln. Fünfzehn Jahre nach der Wiedervereinigung dürfen wir Deutschen und vor allem wir Thüringerinnen und Thüringer dankbar und stolz auf das gemeinsam Erarbeitete sein.

 


01/01 2005

Neujahrsansprache



Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!

 

Meine Gedanken – und sicherlich auch Ihre – sind in diesen Tagen bei den Opfern der grauenvollen Katastrophe im Süden Asiens. Die Zahl der Toten und Verletzten ist unvorstellbar hoch. Die Bilder von den Ertrunkenen und den Angehörigen, die um sie trauern, lassen mich nicht los. Nun sind Zehn-, wenn nicht Hunderttausende von Seuchen bedroht. Die betroffenen Regionen sind dringend auf Hilfe angewiesen. Weltweit sind Hilfsmaßnahmen angelaufen, selbstverständlich wird sich der Freistaat Thüringen im Rahmen seiner Möglichkeiten daran beteiligen. Ich bitte auch Sie, durch Spenden an die Hilfsorganisationen einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Katastrophe nicht noch mehr Opfer fordert.

 

Gerade in solchen Situationen erlebe ich immer wieder – und ich freue mich darüber –, wie viel Mitmenschlichkeit die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zeigen. Wie viel ehrenamtliches, also uneigennütziges Engagement es in Thüringen gibt. Wie groß die Bereitschaft zu spontaner Hilfe ist.

 

Das war auch beim verheerenden Brand in der Anna-Amalia-Bibliothek zu sehen. Ohne diese Hilfe wären noch sehr viel mehr wertvolle Bücher den Flammen zum Opfer gefallen. Ja, auch wenn – Gott sei Dank! – keine Menschen zu Schaden gekommen sind: Dieser Großbrand war für uns in Thüringen ein schreckliches Ereignis im vergangenen Jahr, denn er hat einen bedeutenden Teil unseres kulturellen Erbes zerstört. Nun gilt es, das Gebäude wieder herzurichten und von den beschädigten Büchern zu retten, was zu retten ist. Ich danke allen, die sich durch ihre Spenden daran beteiligt haben oder noch beteiligen werden. Auch wenn schon eine stattliche Spendensumme zusammengekommen ist – es werden noch erhebliche Mittel nötig sein. Das Land kann sie nicht alleine aufbringen.

 

Unser Landeshaushalt befindet sich ohnehin in einer sehr schwierigen Lage. Seit drei Jahren bleiben die Steuereinnahmen deutlich hinter den Erwartungen zurück. Eine Folge der wirtschaftlichen Krise, in der sich ganz Deutschland befindet. Das zwingt uns zu drastischen Sparmaßnahmen, die für viele in Thüringen eine Zumutung sind. Aber ich bitte Sie um Verständnis: Wir können uns nicht in noch mehr Schulden flüchten. Das wäre gegenüber unseren Kindern und deren Kindern unverantwortlich.

 

Ich habe für die kommenden Monate deshalb nicht nur einen konsequenten Sparkurs angekündigt, sondern auch eine Reihe von Umstrukturierungen bei der Landesverwaltung. Sie führen dazu, daß im Laufe dieser Legislaturperiode über 40 Behörden geschlossen werden. Davon werden auch viele Orte betroffen sein. Wir ergreifen diese Maßnahmen, weil wir Thüringen fit machen wollen für die Zukunft. Außerdem müssen wir die Auswirkungen der demographischen Entwicklung berücksichtigen. Und: Wir brauchen wieder mehr Gestaltungsspielraum auf den wichtigen Feldern Familie, Bildung und Wirtschaft.

 

Deshalb habe ich es mir zum Ziel gesetzt, Bürokratie abzubauen und den Staat schlanker zu machen. Ich setze auf mehr Eigenverantwortung und weniger staatliche Bevormundung. Vieles ist – nicht nur in Thüringen! – zu stark reglementiert. Das widerspricht meinem Verständnis von Freiheit. Das widerspricht der Freiheit, die wir uns vor 15 Jahren erkämpft haben. Deshalb sage ich ganz offen: Etliche der Umstrukturierungsmaßnahmen wären auch dann notwendig und sinnvoll, wenn wir nicht sparen müßten.

 

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, unser Land ist eines der schönsten der Bundesrepublik Deutschland. Es hat eine reiche Geschichte, eine unvergleichliche Kultur, eine herrliche Landschaft – und es bietet ein hohes Maß an Lebensqualität, gute Bildungschancen. Unsere Industrie verzeichnet ein anhaltendes Wachstum, und die Ausgangslage hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter verbessert.

 

Trotzdem leidet Thüringen – wie ganz Deutschland – immer noch unter einer viel zu hohen Arbeitslosigkeit. Wir wissen, daß sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht in naher Zukunft entspannt. Aber wir können gemeinsam dafür arbeiten, Thüringen noch attraktiver zu machen – für Industrieansiedlungen, für wissenschaftliche Forschungseinrichtungen, für junge Leute.

 

Unsere Lage mitten im größer gewordenen Europa ist einer unserer Pluspunkte, die wir noch stärker zum Tragen bringen wollen. Ich bin zuversichtlich, daß wir unser Land auch in diesem Jahr wieder ein Stück weiter voranbringen werden. Ich arbeite gern für Thüringen, und ich bin überzeugt, daß wir auf einem guten Weg sind. Ich würde mich freuen, wenn Sie meine Zuversicht teilten. Denn nur mit Zuversicht läßt sich Zukunft gestalten.

 

Ich wünsche Ihnen ein gesundes, ein glückliches und ein erfolgreiches Neues Jahr!


[zurück]


CoreCMS
Druckdialog öffnen
Fenster schließen