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| Freitag. 16. September 2005 |
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| "DIE INVESTITIONSZULAGE MUSS GEZIELTER EINGESETZT WERDEN" |
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Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus hat sich dafür ausgesprochen, die Investitionsförderung für die neuen Länder auch nach 2006 zu erhalten. Allerdings müssten die Mittel "gezielt für die Entwicklung der Wachstumsbranchen und bestimmte Regionen einsetzbar" sein, betonte der Ministerpräsident in einem Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Zugleich stellte er klar, dass die Union ganze Landstriche im Osten nicht sich selbst überlassen werde. "Wir sind ein Kulturland, kein Urwald", betonte Althaus. Die einzelnen Regionen müssten auch künftig von Menschen bewohnt und gepflegt werden.
Lesen Sie hier das Interview mit Dieter Althaus:
Frankfurter Allgemeine Zeitung: Seit der Wende fließen jährlich etwa 100 Milliarden Euro in die neuen Länder, die Löhne sind niedriger als im Westen, der Grad der Deregulierung ist höher, der Flächentarifvertrag hat nur selten Gültigkeit. Sind das nicht Voraussetzungen für einen selbsttragenden Aufschwung?
Dieter Althaus: Seit 1997/98 ist der Aufholprozess ins Stocken geraten. Wir haben nach wie vor eine Produktivitätslücke, wir haben auch noch eine Lücke in der Infrastruktur und bei der Kaufkraft. Deshalb müssen wir unserer Wirtschaft weitere Wachstumsimpulse geben, unsere Infrastrukturprojekte abschließen und dafür sorgen, dass die neuen Länder in der nächsten Förderperiode der EU die Maximalförderung behalten, damit sie gegenüber den östlichen Nachbarn nicht ins Hintertreffen geraten.
FAZ: Behindert die Langzeitwirkung des Sozialismus noch immer das Fortkommen?
Althaus: Überzogenes Anspruchsdenken gegenüber dem Staat ist leider ein gesamtdeutsches Phänomen. In den neuen Ländern kommt jedoch hinzu: Wer hier seit 1990 keine wirkliche berufliche Chance bekommen hat, wer immer noch durch staatliche Hilfsprogramme unterstützt wird, der empfindet eine Enttäuschung, die ich nachvollziehen kann. Ich setze darauf, dass insbesondere die junge Generation den Wert der Demokratie und der Sozialen Marktwirtschaft von Anfang an erlebt und dass wir denen, die enttäuscht sind, deutlich machen können, dass Enttäuschung nicht in Frustration und Protest umschlagen darf.
FAZ: Können und sollen die Lebensverhältnisse überall in Deutschland gleich sein?
Althaus: Nein. So wie es in der alten Bundesrepublik immer schon regionale Unterschiede gab, wird es sie auch weiterhin geben. Wichtig ist, dass eine gleichwertige Entwicklung sichergestellt wird, dass die Grundinfrastruktur vorhanden ist, dass eine wettbewerbsfähige mittelständische Wirtschaft da ist, die Forschung und Entwicklung betreiben kann, und dass wir bei den Arbeitsmarktdaten vergleichbare Werte erreichen.
FAZ: Aber die Erwerbstätigenquote in Ost und West unterscheidet sich kaum.
Althaus: Ich glaube, dass es insgesamt in Deutschland mehr Arbeitsplätze geben muss. Schon weil das Beispiel der neuen Länder, wo die meisten Frauen ganz selbstverständlich bezahlter Arbeit nachgehen oder Arbeit suchen, in ganz Deutschland Schule machen wird.
FAZ: Die Investitionszulage ist zunächst bis 2006 befristet. Die neuen Länder - einschließlich Thüringen - kämpften bisher für die Verlängerung der Zulage. Sie wollen sie aber zurückfahren. Warum?
Althaus: Die Investitionszulage ist im Korb 2 des Solidarpaktes II enthalten. Die jetzige Bundesregierung hat sich geweigert, den Korb 2 gesetzlich zu regeln, so dass wir uns dafür eingesetzt haben, die Zulage zunächst bis Ende 2006 zu erhalten, weil wir die - ich denke berechtigte - Sorge hatten, dass die Bundesregierung das Geld sonst einfach eingespart hätte. Wenn wir über die Investitionsförderung nach 2006 reden, muss der Grundsatz gelten: Das Geld muss für die Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft und der ostdeutschen Technologie erhalten bleiben, aber es muss gezielt für Wachstumsbranchen und bestimmte Regionen einsetzbar sein.
FAZ: Wie wollen Sie die gezielte Förderung sicherstellen? Welche Technologien und Branchen sollten das sein?
Althaus: Die Länder brauchen ein hohes Maß an Flexibilität, um entscheiden zu können, in welchen Bereichen sie die Fördermittel einsetzen. Es gibt ja beide Aufgaben: die Zentren weiter zu stärken und in Regionen zu helfen, in denen immer noch besondere Strukturschwächen bestehen. Denn wenn sich dort mittel- und langfristig keine Wirtschaft etabliert, bekommen wir viel höhere Folgekosten.
FAZ: Bis wann soll die Investitionszulage weitergezahlt werden?
Althaus: In der jetzigen Form nach meiner Vorstellung bis Ende 2006. Wir sollten uns spätestens nächstes Jahr darüber verständigen, wie wir den Korb 2 mit seinen 51 Milliarden Euro rechtlich fixieren - bis 2019, wie es im Solidarpakt vereinbart ist. Dabei sollten wir auch festlegen, wie die konkrete Verwendung aussehen soll, wer die Verantwortung trägt.
FAZ: Das Geld in Korb 1 ist dazu bestimmt, teilungsbedingte Lasten zu beseitigen. Wäre es richtig, jene zu sanktionieren, die das Geld nicht so einsetzen, wie es der Gesetzgeber gewollt hat?
Althaus: Ich bin - wie der Sachverständigenrat der Bundesregierung - dafür, die Verwendungsbreite der Korb-1-Mittel zu vergrößern und neben der Infrastruktur und dem Ausgleich der überproportionalen Defizite bei den Kommunalfinanzen auch gewerbliche Investitionen und auch Schuldentilgung aufzunehmen. Das hätte den Vorzug, dass die politische Schwerpunktsetzung den Ländern zukommt. Und wenn man gleichzeitig den Vorschlag der Sachverständigen aufnimmt, Korb 1 und 2 miteinander zu verbinden, so dass man zum Beispiel zur Finanzierung von Vorhaben aus Korb 2 den Korb 1 mitnutzen kann, dann hätte man auch einen politischen Anreiz gesetzt, damit sich die Länder maximal bemühen, das Geld in die gewerbliche Wirtschaft, in Technologieförderung und Infrastruktur zu investieren. Es geht im Moment den Kritikern nicht darum, dass Schulden getilgt werden, sondern dass aus dem Solidarpakt 1 auch Mittel für laufende Ausgaben eingesetzt werden.
FAZ: Joachim Ragnitz vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle prophezeite, ganze Regionen Ostdeutschlands würden veröden und wir sollten nicht versuchen, sie zu retten. Hat der Wissenschaftler Recht?
Althaus: Das wäre ein Drama für die neuen Länder, die solche Regionen hätten. Jeder, der einmal dort gewesen ist und mit den Menschen geredet hat, weiß, dass sie eine andere Perspektive für sich haben und auch eine andere Politik erwarten. Man kann in einem Flächenland wie Thüringen nicht einfach einen Landkreis wie den Kyffhäuserkreis sich selbst überlassen. Man muss durch Infrastrukturinvestitionen, durch eine gezielte Ansiedlungspolitik und durch die gezielte Implementierung von Hochschulkapazitäten Entwicklung hervorrufen. Wie das geht, kann man sehr gut in Nordhausen sehen. Durch die Fachhochschule hat sich ein ganz anderes industrielles und wissenschaftliches Profil entwickelt. Und man kann es im Raum Artern sehen, wo sich an der künftigen Autobahn 71 Industrien etablieren. Wir sind ein Kulturland, kein Urwald. Die Regionen müssen von Menschen bewohnt und gepflegt werden. Dazu gehören Landwirtschaft, Ernährungswirtschaft, aber auch Industrie.
Mit Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus sprach Claus-Peter Müller. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 16.09.2005. S. 6.
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