Wir brauchen diese Reform

Althaus gegen Änderungen bei der Föderalismusreform
Moderation: Bettina Klein (Deutschlandradio)
Bettina Klein: Der Streit zwischen Zentralmacht und Kleinstaaten gehört zur deutschen Geschichte wie Goethe und Bismarck. Mit dieser Einsicht konnte man sich während den zähen und teils endlos wirkenden Verhandlungen über eine Föderalismusreform trösten. Kurz vor Schluss der Beratungen scheiterte die eigens eingesetzte Kommission dann doch noch am Streit um die Bildungskompetenzen, von denen die Länder gern mehr gehabt hätten. Monate der politischen Umbrüche in Deutschland mussten vergehen, bis dann mit der großen Koalition sich ein Kompromiss fand, an dem dann auch wieder gearbeitet wurde. Doch nun in dieser Woche soll es so weit sein und das erste Paket zur Reform der Bund-Länder-Beziehungen in die parlamentarischen Gremien gehen. Aber noch scheint die Reform nicht zu Ende verhandelt, denn auch jetzt melden sich wieder Kritiker, die vor sehr übereilten Veränderungen warnen und den einen oder anderen Punkt noch einmal überarbeiten lassen möchten.
Am Telefon begrüße ich Dieter Althaus, Christdemokrat und Ministerpräsident von Thüringen. Schönen guten Morgen!
Dieter Althaus: Guten Morgen Frau Klein.
Klein: Zustimmung mit Zähneknirschen auch bei Ihnen?
Althaus: Es gibt Punkte, die ich persönlich und für das Land anders gerne gesehen hätte, aber das Gesamtpaket ist gut verhandelt und ich denke auch, dass die Reform dem Anspruch gerecht wird, dass Deutschlands Politik handlungsfähiger wird und dass auch die Transparenz der Politik zunimmt. Deshalb wird am Ende zugestimmt und es werden in den nächsten Wochen sicher auch in der Öffentlichkeit noch die Diskussionen geführt, die notwendig sind, aber die Ministerpräsidenten sind sich einig: Wir brauchen diese Reform.
Klein: Welche Punkte hätten Sie denn gerne anders gesehen?
Althaus: Wir haben persönlich von Anfang an deutlich gemacht, dass die Übertragung der Personalhoheit auf die Länder, also das Dienstrecht, Besoldungs- und Versorgungsrecht, nicht so geschehen sollte, wie es jetzt festgelegt wird. Wir haben aber keine Mehrheit dafür bekommen. Deshalb ist das ein Punkt, den ich kritisch sehe, aber ich lasse an diesem Punkt nicht die Reform scheitern.
Klein: Nun sagen Sie, die Ministerpräsidenten seien sich einig. Ganz so einig scheint das aber nicht zu sein, denn zum Beispiel Ihr Kollege aus Mecklenburg-Vorpommern, Herr Ringstorff, und auch der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Carstensen haben sich für Nachverhandlungen ausgesprochen beziehungsweise dafür, dass man in dieser Woche doch noch keine Schlussabstimmung im Bundesrat ansetzen soll?
Althaus: Über das Verfahren werden wir heute noch einmal reden. Man könnte sich ja auch vorstellen, dass in einem Ausschuss die Details noch einmal beraten werden. Wichtig ist aber, dass das Reformpaket nicht noch einmal aufgeschnürt wird, denn jeder hat sicher aus Sicht der Länder einzelne Punkte, die er gerne anders geregelt hätte. Wenn man jetzt also das Paket aufschnürt, ist die Gefahr groß, dass wir überhaupt keine Reform bekommen. Und da sie wichtig ist, diese Föderalismusreform, damit wir handlungsfähiger werden, ist es auch wichtig, dass die Grundsatzaussage heißen muss, wir akzeptieren das, was verhandelt ist, und wir wollen auch, dass das zum Erfolg geführt wird.
Klein: Ist es nicht vielleicht tatsächlich Schwarzmalerei, wie Peter-Harry Carstensen sagt, dass einzelne Änderungen die gesamte Reform gefährden würden? Auch Ihr Parteikollege Bosbach hält einzelne Veränderungen durchaus noch für möglich.
Althaus: Das muss man im Detail diskutieren, aber ich habe in den Debatten der letzten Monate festgestellt, dass es natürlich Grundsatzüberzeugungen gibt, die erst angenähert werden mussten: zum Beispiel die Frage der Zuständigkeit für die Bildung. Dort war es eine größere Zahl von Ländern, die immer gesagt haben, die Ausschließlichkeit der Zuständigkeit der Länder muss umgesetzt werden. Es gab aber auch immer Länder, die das anders gesehen haben.
Nun haben wir uns geeinigt auf die Zuständigkeit der Länder und das sollte nicht wieder in Frage gestellt werden. Meine Aussage also ganz klar: Dieses Paket ist gut ausverhandelt und wir haben viele Monate Zeit zugebracht, auch mit Experten, eine vernünftige Form auf den Tisch zu legen. Jetzt sollte zugestimmt werden!
Klein: Aber Herr Althaus es sind ja offenbar noch nicht alle Bedenken ausgeräumt. Bildungspolitiker warnen ja weiterhin vor einer weiteren Zersplitterung in der Bildungslandschaft. Diese Bedenken sind vorgetragen worden und sollen jetzt noch einmal vorgetragen werden. Christoph Matschie, der SPD-Landeschef in Thüringen, sagt, er wird dafür in den Gremien kämpfen, dass man das noch einmal fachlich sich genau anschaut und möglicherweise das eine oder andere zurücknimmt.
Althaus: Dann scheitert die Reform und da wir das nicht wollen, wird es auch bei der Übereinkunft bleiben. Das macht auch Sinn. Hier liegt ein ganzes Stück an Gestaltungskraft für die Länder. Das ist eine Frage des Wettbewerbs. Wenn wir gute Bildungspolitik in den Ländern machen, haben wir auch bessere Voraussetzungen für gute Forschungspolitik und gute Wirtschaftspolitik. Deshalb kann man durch eine nationale Kompetenz an dieser Stelle keine Besserung erreichen, sondern durch eine qualifizierte Landespolitik. Das ist genau unsere Überzeugung, auch die in Thüringen, jedenfalls von der Mehrheit, und deshalb werden wir diesen Weg, der beschlossen ist, auch ganz konsequent mitgehen.
Klein: Aber gerade der Wettbewerb wird von den Skeptikern ja als Argument dagegen angeführt, zum Beispiel mit der Befürchtung, dass finanzschwächere Länder benachteiligt werden könnten, zum Beispiel indem Professoren abgeworben werden in finanzstärkere Länder, wenn unterschiedliche Bezahlungen möglich sind. Weshalb teilen Sie diese Befürchtungen nicht?
Althaus: Das ist wieder ein anderes Thema. Da geht es also um die Frage der Zuständigkeit zum Beispiel über das Dienstrecht und das Besoldungsrecht. Hier haben wir uns auch vereinbart, dass es keinen Wettbewerb geben darf, dass immer mehr bezahlt wird, sondern es geht um einen Wettbewerb der Strukturen, der Inhalte und a wir keinen Beteiligungsföderalismus wollen, sondern einen Gestaltungsföderalismus, müssen wir uns auch als Länder dazu erklären, durch eigene Politik auch im Wettbewerb erfolgreich zu sein. Es wäre eine ganz falsche Vorstellung von Föderalismus, wenn am Ende für alle wichtigen Fragen der Bund zuständig wäre. Dann brauchte es keine Länder, es sei denn als Verwaltungsgrößen. Wir haben aber eigenstaatliche Veranstaltungen in den Ländern zu organisieren über die Parlamente und wir müssen diese Eigenstaatlichkeit auch leben.
Klein: Ja gut, aber was wird aus dem Auftrag des Bundes, etwa gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland herzustellen, wenn jedes Land eigene Gesetzgebungen in bestimmten Bereichen haben darf? Eine Befürchtung ist ja einfach, es wird ein Nebeneinander, eine Kleinstaaterei von armen und reichen Staaten in Deutschland geben.
Althaus: Mit arm und reich hat das nichts zu tun. Wenn man die Pisa-Ergebnisse zum Beispiel nimmt, stehen in den letzten Jahren kontinuierlich Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen vorne. Wie man leicht sehen kann sind Länder mit mehr Gestaltungskraft aufgrund ihrer Finanzen dabei und andere wie Thüringen, die nicht so eine starke Finanzkraft haben. Deshalb kommt es darauf an, dass diese Politiken der Länder genutzt werden, um die Attraktivität der Länder und auch die Dynamik der Länder zu verbessern. Darum geht es. Das ist auch der Sinn des Föderalismus und er basiert ja gerade auch auf der Bildungspolitik. Der Kulturföderalismus ist einer der Grundbestände der deutschen Länder und deshalb ist es auch gut gewesen, dass bei dieser Diskussion vor etwa eineinhalb Jahren eine klare Entscheidung im letzten Jahr gefällt worden ist, nämlich Bildungspolitik ist Sache der Länder.
Klein: Mit welchem Zeitplan rechnen Sie? Rechnen Sie damit, dass es im Bundesrat die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit geben wird? Denn auch aus der FDP kamen einige kritische Stimmen und die Länder, die von der FDP mitregiert werden, sind ja erforderlich beim Abstimmungsverhalten im Bundesrat.
Althaus: Da wir nun einen sehr langen Diskussionsprozess hinter uns haben, sollten wir zwar nicht in Hast, aber doch auch in der notwendigen Eile dieses Gesetzespaket verabschieden. Ich gehe also davon aus, dass in den nächsten Wochen noch Detaildebatten geführt werden, damit auch öffentlich klar wird, welche Bestandteile eigentlich diese Föderalismusreform hat. Dann sollte noch vor der Sommerpause die Entscheidung im Bundesrat und im Bundestag abschließend erfolgen.
Klein: Dieter Althaus, Ministerpräsident von Thüringen. Danke für das Gespräch. 
Althaus: "Das Ziel heißt: weniger Staat"

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 "Den Menschen ihre regionale Identität nicht nehmen."
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Ministerpräsident Dieter Althaus lehnt eine Fusion Thüringens mit Sachsen und Sachsen-Anhalt ab. "Hier geht es um gewachsene regionale Identitäten, wir sind doch keine Verwaltungsprovinz des Bundes", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". Eine Diskussion über Länderfusionen sei daher müßig. Gleichwohl brauchten die neuen Länder einen "effizienten, schlanken Staat". Deshalb würden gerade in einer Verwaltungsreform 80 Behörden um- und abgebaut, von den Forst- bis zu den Finanzämtern. "Das Ziel heißt: weniger Staat", betonte der Ministerpräsident. Da gebe es noch viele Gestaltungsmöglichkeiten.
Lesen Sie hier das Interview mit Dieter Althaus:
Süddeutsche Zeitung: Sie wollen weiter am Tropf hängen und den Solidarpakt II sogar ins Grundgesetz schreiben?
Dieter Althaus: Nein, das muss nicht sein. Wichtig ist, dass der Solidarpakt verlässlich bis zum Jahr 2019 gilt. Mit den vereinbarten 156 Milliarden Euro sollen teilungsbedingte Lasten überwunden werden, und da gibt es schon noch genügend. Bei der Infrastruktur sind wir auf gutem Wege, aber noch nicht am Ziel. In der Wirtschaft gibt es Lücken, was Branchenstruktur und Größe der Unternehmen betrifft; das zeigt der Produktivitätsvergleich. Der regionale Wohlstand liegt bei uns noch immer um 20 Prozent unter dem Durchschnitt der alten Länder. Wir müssen künftig noch zielgenauer arbeiten, deshalb bin ich dafür, die Investitionszulage neu zu akzentuieren: weg von der reinen Steuersubvention hin zu einer zielgerichteten Förderung.
SZ: Aber nach der Einigung in Brüssel verlangen Sie erst mal wieder mehr Geld.
Althaus: Die EU-Mittel sind für uns sehr wichtig, Thüringen bekommt daraus zwischen 2000 und 2006 allein 3,1 Milliarden Euro. Die Absenkungen müssen jetzt für die neuen Länder so gering wie möglich gehalten werden, also, wo notwendig, durch nationale Gelder kompensiert werden.
SZ: Das klingt nach Sonderlösungen.
Althaus: Nein. Die Basis ist der Solidarpakt II. Wenn für den so genannten Korb 2 weniger Mittel aus Brüssel zur Verfügung stehen, muss man mit dem Bund über einen Ausgleich verhandeln. Ich freue mich, dass die Bundeskanzlerin bereits Verhandlungsbereitschaft signalisiert hat.
"Nur 46 Prozent unserer Landeseinnahmen stammen aus der eigenen Steuerkraft"
SZ: Die Kredite zu tilgen, braucht es 185 Jahre - ist das zukunftsorientiert?
Althaus: Wir waren bereits auf einem Konsolidierungskurs, doch seit 2001 hat es erhebliche Steuereinbrüche gegeben. Zunächst haben wir versucht, durch massive Einsparungen entgegenzuwirken, aber das ging nicht unbegrenzt, denn wir brauchten ja auch weiter Geld für Investitionen. So mussten wir leider auch den Weg einer höheren Neuverschuldung gehen. Nur 46 Prozent unserer Landeseinnahmen stammen aus der eigenen Steuerkraft, wir müssen Wachstum initiieren, nur so steigen die Einnahmen.
SZ: Es ließe sich viel sparen, wenn Thüringen mit Sachsen und Sachsen-Anhalt zusammengelegt würde.
Althaus: Als die Länder 1990 wiedergegründet wurden, hatte das schon seinen Grund, die kulturelle Identität ist Grundlage des Föderalismus. Hier geht es also um gewachsene regionale Identitäten, wir sind doch keine Verwaltungsprovinz des Bundes. Eine Diskussion über Länderfusionen ist daher müßig. Aber natürlich brauchen wir in den neuen Ländern einen effizienten, schlanken Staat. Wir sind gerade dabei, in einer Verwaltungsreform 80 Behörden um- und abzubauen, von den Forstämtern bis Finanzämtern. Das Ziel heißt: weniger Staat. Und da sehe ich noch viele Gestaltungsmöglichkeiten. Wir dürfen den Menschen aber nicht ihre regionale Identität nehmen.
SZ: Als Bayerns Ministerpräsident Stoiber über frustrierte Ossis herzog, gab es einen Aufschrei. Jetzt werfen Sie den Ostdeutschen selbst Jammerstimmung vor - was ist der Grund?
Althaus: In den vergangenen 15 Jahren haben die Menschen hier einen enormen Aufbau geleistet. Aber neuerdings hört man in den Diskussionen immer häufiger so einen nostalgischen Ton, nach dem Motto: Ach wie schön war's in der beschaulichen DDR, etwa in puncto soziale Sicherheit, in puncto Beschäftigung. Solches Denken ist nicht zukunftsfähig. Wenn wir die Probleme lösen wollen, müssen wir zupacken - Jammern ist ganz das Falsche. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass diese Stimmung überwunden wird.
"Der Betreuungsstaat ist jedoch nicht nur unbezahlbar, er nimmt auch Freiheit und Eigenverantwortung und damit Zukunft."
SZ: Müssen die Menschen, von denen viele in den letzten 15 Jahren mehrfach ihre Jobs verloren, sich auf noch mehr Unsicherheiten einstellen?
Althaus: In ganz Deutschland erwarten viele Bürger vom Staat ein sehr hohes Maß an Verteilung hin zu mehr Gleichheit. Der Betreuungsstaat ist jedoch nicht nur unbezahlbar, er nimmt auch Freiheit und Eigenverantwortung und damit Zukunft. Er ist ungerecht, weil er nicht Leistung, sondern Abwarten belohnt, und er legt die Bereitschaft lahm, Initiative zu entwickeln. Der freiheitliche Staat legt die Spielregeln fest, aber die Bürger müssen das Spiel dann selbstverantwortlich gestalten. Die Menschen leben heute oft sehr ist-bezogen, da zählt nur der Augenblick. So kommt Neidstimmung auf und die Zukunftsperspektive geht verloren. Es ist wichtig, dass wieder die Devise gilt: Unseren Kindern soll es einmal besser gehen.
SZ: Aber Ihr Programm für Kinder und Familien stößt auf harte Kritik in Thüringen.
Althaus: Damit war zu rechnen. Wer Strukturen ändern will, erntet Widerstand von denen, die daran festhalten wollen. Wir stellen das Landeserziehungsgeld um und zahlen es den Eltern künftig einkommensunabhängig. Diese erhalten damit die Wahlfreiheit, ob sie ihre Kinder im dritten Lebensjahr selbst betreuen oder in eine Einrichtung bringen wollen. Die Erziehungsleistung der Eltern ist mindestens genauso viel wert wie die der Kindertagesstätten. Wenn wir in Deutschland nicht lernen, dass es existentiell notwendig ist, Kinder und Familien wieder in den Mittelpunkt - auch von Förderung - zu rücken, werden wir die Zukunft nicht gestalten können. Es geht dabei um sehr viel mehr, als um die Zahl künftiger Rentenbeitragszahler: Die Stabilität der Gesellschaft hängt davon ab, wie wir mit den Familien, mit ihrer Erziehungs- und Integrationsleistung umgehen.
SZ: Ob in der Politik oder in der Kultur - überall sind Ostdeutsche inzwischen vorn. Wie erklären Sie sich das?
Althaus: Das System DDR mit seiner vorgeschriebenen Enge war eine große Belastung für die Menschen. Aber diese Enge hat auch den Wunsch nach Weite provoziert. So waren die geistigen Anstrengungen, Freiheit zu denken, vielleicht etwas prägender für die Menschen, als im Westen. Heute haben wir eine ganze Reihe von Leuten in der Politik, in der Kultur, in der Wirtschaft, die sich diese erworbene Kreativität, diesen geistigen Spielraum erhalten haben. Ich glaube, darin zeigt sich auch, dass der Prozess des Zusammenwachsens zwischen Ost und West keine Einbahnstraße mehr ist.
"Die Verfahren bei uns sind nicht so ritualisiert wie in den alten Ländern."
SZ: Personalchefs loben die ostdeutschen Arbeitskräfte als besonders flexibel - sind sie durch Krisen gestählt?
Althaus: Die großen Umstrukturierungsprozesse der letzten 15 Jahre haben von vielen natürlich viel Flexibilität und Veränderungsbereitschaft verlangt. Aber es gibt noch etwas: Die Verfahren bei uns sind nicht so ritualisiert wie in den alten Ländern. So spielen die Gewerkschaften zwar eine Rolle in der Wirtschaft. Aber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wissen sehr genau, dass es letztlich nicht so sehr um die Frage geht, wie die Gewerkschaften tarifliche Prozesse gestalten, sondern wie zukunftsfähig ein Unternehmen ist. Die Arbeitnehmer-Vertreter denken hier stärker mit über das, was nötig ist, damit das Unternehmen erfolgreich bleiben kann. Das war bei Jenoptik in Jena zu beobachten und auch bei Opel in Eisenach. Dann drückt sich auch ein hohes Maß an Verantwortlichkeit aus: Probleme werden nicht auf die nächsthöhere Ebene geschoben, sondern wo immer möglich vor Ort gelöst. Von solchen Erfahrungen kann man auch im Westen Deutschlands lernen.
SZ: Viele Betriebe haben nagelneue Anlagen, Straßen und Verkehrsanbindungen sind oft besser als im Westen - ist Ostdeutschland nicht überhaupt im Vorteil?
Althaus: Die Modernität unserer Wirtschaft, unserer Infrastruktur ist unzweifelhaft exzellent. Das gibt uns vorzügliche Zukunftschancen. Doch es muss auch gelingen, dieses Potenzial stärker mit innovativer Forschung und Entwicklung zu verknüpfen, sodass vor allem der Mittelstand davon profitiert. Unsere mittelständischen Unternehmen sind stark und erfolgreich, aber sie sind noch zu klein, um sich eigene Forschung leisten zu können. Da muss der Staat helfen und Brücken bauen für die Unternehmen, ihnen den Weg öffnen zu Forschungskapazität.

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Reformen sind eine optimistische Botschaft

STZ-INTERVIEW Ministerpräsident Dieter Althaus über Hoffnung, Hiobsbotschaften, Rückenwind aus Berlin und Angela Merkel.
Familienoffensive, Doppelhaushalt, Behördenstrukturreform. Aus Sicht des Thüringer Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) wurde 2005 vieles erreicht. Nun müsse man darauf achten, dass das, was zum Teil nur angefangen wurde, "gut abgearbeitet wird".
Was ist gut gelaufen im ablaufenden Jahr und was suboptimal?
Dieter Althaus: Was ich mir an grundsätzlichen Weichenstellungen vorgenommen hatte, habe ich erledigen können. Dass dazu so plötzlich Bundestagswahlen kamen und dadurch eine zusätzliche politische Auseinandersetzung im Mittelpunkt stand, damit konnte niemand rechnen. Natürlich hat uns das, was wir aus landespolitischer Sicht zu entscheiden hatten, für die Bundestagswahl keinen Rückenwind gegeben. Aber das war in dieser Phase zu erwarten.
Ist etwas liegen geblieben?
Nein, substantiell nicht. Aber wir müssen im nächsten Jahr darauf achten, dass das, was wir zum Teil ja nur anfangen konnten, gut abgearbeitet wird. Ich denke an das große Thema Behördenstrukturreform, an die sehr intensive Debatte mit den Kommunen im Blick auf die Versorgungs- und Umweltverwaltung oder auch an die Umsetzung der Familienoffensive, die wir ganz aktiv begleiten werden. Über eine E-Mail-Adresse wollen wir eine Dialogbühne anbieten, auf der jeder Fragen oder Meinungen einbringen kann. Und es bleibt im nächsten Jahr eine ganz wichtige Aufgabe, den Auftrag des Verfassungsgerichtes zu erfüllen, transparente Grundlagen für die Kommunale Finanz- und Aufgabenstruktur zu erarbeiten. Wir werden das sowohl für die Gemeinden als auch für die Landkreise tun. Ziel ist, dass Land und Kommunale Spitzenverbände dafür ein gemeinsames Gutachten in Auftrag geben, damit wir in der Debatte keine unterschiedlichen Ausgangspositionen haben.
Stichwort Familienoffensive. Eine gut gemeinte Geschichte ist auf Proteste gestoßen. Haben die Menschen nicht begriffen, worum es gehen soll?
Es ist ein Paradigmenwechsel hin zur kind- und familienbezogenen Förderung. Das bedeutet auch, dass sich Träger und einzelne Einrichtungen umstellen müssen. Wir hatten in den vergangenen Jahren keinen Zuwachs an Kindern in den Tagesstätteneinrichtungen - leider -, aber wir haben eine Kostenentwicklung, die so exorbitant ist, dass wir schon aufgrund der finanziellen Situation die Debatte führen mussten. Wir sind dann aber sehr schnell - schon vor einigen Jahren - dazu gekommen, dass wir auch eine inhaltliche Neubestimmung vornehmen müssen. Dass das auf Proteste stoßen würde, war mir klar. Jetzt muss man zur Versachlichung beitragen. Die Betroffenen müssen bei der konkreten Umsetzung spüren, dass es trotz des Paradigmenwechsels keinen Abstieg der jetzigen Strukturen gibt. Ganz im Gegenteil. Wir können mehr für Familien und für Kinder tun. Das ist ein sehr positives Ergebnis.
Trotzdem: Haben Sie auch die Stärke des Widerstandes so erwartet?
Ja. Wenn man in einigen Regionen bis zu 30 Prozent Überkapazitäten hat, wenn die sehr unterschiedliche Förderstruktur in Thüringen zu großen Unterschieden in den Regionen führt, dann wissen die Träger ganz genau, dass sie Konsequenzen ziehen müssen. Wir ordnen jetzt den Übergang. Nahezu zwei Jahre bleiben Zeit, damit die Strukturveränderungen in gemeinschaftlicher Verantwortung organisiert werden können. Da muss man Kindern und Eltern keine Angst einreden. Im Gegenteil: Am Ende bleiben die Strukturen gut erhalten und wir sind inhaltlich weiter vorangekommen, weil wir Bildungspläne stärker verbindlich machen und zusätzliche Elemente einführen wie das Thüringer Erziehungsgeld, die Investitionspauschale und die Stiftung Familiensinn. In zwei bis drei Jahren wird sich zeigen, dass die Familienoffensive dem Familienland Thüringen einen wichtigen zusätzlichen Impuls gegeben hat.
War die Kritik der Opposition nur Panikmache?
Auch im Jahr 2000, als die Kindertagesstätten im Thüringer Landtag diskutiert worden sind, gab es eine sehr große Verunsicherung der Menschen. Kindergartenschließung, Verteuerung der Kindergartenplätze: Die Stichworte konnte man alle damals schon lesen. Nichts davon ist eingetreten, die bestehende Thüringer Kindergartenlandschaft wird von der Opposition hoch gelobt.
Mit anderen Worten: Es wird auch jetzt nicht zu Schließungen kommen?
Man kann beides machen: Man kann effiziente kleine Kindergärten führen, man kann im gemeindlichen Bereich aber auch zu anderen Strukturen kommen. Das sollte man vor Ort entscheiden.
Fürchten Sie das Volksbegehren?
Das Volksbegehren müsste Wege formulieren, eine bessere Kindergartenversorgung zu organisieren. Wenn es nur darum geht, die bestehende Struktur zu sichern, wäre das nicht sachgerecht.
Wie lange wird es dauern, bis sich die Gemüter beruhigt haben? Wann sehen die Leute, dass der Paradigmenwechsel funktioniert?
Ich gehe davon aus, dass sich im nächsten halben oder drei viertel Jahr zeigt, dass viele der geäußerten Sorgen nicht berechtigt sind.
Das könnte für die CDU-Bürgermeister, die im Mai wieder oder neu gewählt werden wollen, zu spät sein.
Nein. Wenn Bürgermeister Vertrauen besitzen, werden sie das Vertrauen im Mai auch wieder gewinnen. Wir haben in Deutschland schwierige Probleme zu lösen - nicht nur auf Bundesebene. Am Ende geht es darum, sie gemeinsam in den Griff zu bekommen. Von den Kandidaten und Amtsinhabern der Union wünsche ich mir, dass sie auch untereinander dieses Vertrauen nicht erschüttern. Die Wählerinnen und Wähler müssen sehen, dass auf landes- und kommunalpolitischer Ebene Gemeinsamkeit existiert. Es kann sich keiner dauerhaft auf Kosten des anderen profilieren. Das können nur diejenigen, die mit dem Land nichts Gutes im Sinne habe: die von der PDS.
Die Gefahr ist sehr real, wenn man ins Land schaut.
Nur: Diese Ausdifferenzierung des politischen Spektrums ist keine Entwicklung der letzten Monate. Wir haben schon seit Mitte der 90er Jahre eine stärkere Verschiebung der politischen Stimmungslagen. Die Anfangsentwicklung 1990/94, die stark von dem Willen zur Wiedervereinigung getrieben war, hat viele aus der Union in Verantwortung gebracht. Das war aber keine Stimmungslage, die tief in diesem Land verwurzelt ist. Insofern bleibt es die Aufgabe der Union, sich in den nächsten Jahren noch stärker als Thüringenpartei zu verwurzeln. Das kann man nur durch harte Arbeit für das Land und die Menschen - und indem man immer wieder das Vertrauen gewinnt. Und das kann man nicht, indem man den Leuten nach dem Mund redet.
Kann man das auch nur in Strukturen, die effektives Arbeiten zulassen. Wie in größeren Gemeinden und größeren Kreisen?
Was die PDS mit ihren Kreisen in Bezirksformat fordert, wäre der Tod der Kommunalpolitik. Und das wäre auch der Untergang für die Kommunalpartei CDU. Das will Thüringen nicht, das wollen die Landkreise nicht, das wollen die Menschen nicht und das darf auch die Union nicht wollen. Wer wieder die Anonymität der Kommunalpolitik organisiert, der kann zwar sehr zentralistisch regieren. Aber ich hätte gerne, dass in den Kreistagen auch weiter Ehrenamtliche sitzen, die Verantwortung für die Region tragen. Und die müssen wissen, wenn sie übers Schulnetz reden, was es mit der Gemeinde oder mit der Stadt auf sich hat. Deshalb darf es keine Strukturen geben, die so anonym sind, wie sie die PDS vorschlägt.
Es ist eine Extremposition, die die PDS hier hat, es gibt auch andere Varianten.
In Bayern gibt es auch Landkreise von 60 000 bis 150 000 Einwohnern und das Land hat damit eine vorzügliche Entwicklung gestaltet. Ich glaube, dass man zwar über dieses Thema diskutieren sollte, noch dazu unter den Bedingungen der demografischen Entwicklung - und die Enquetekommission wird aus der Mitte des Landtages heraus auch konkrete Vorschläge unterbreiten -, aber ich weiß, dass die Gebietsreform von 1994 bis heute noch nicht vollständig verarbeitet ist.
Und auf gemeindlicher Ebene?
Dort ist der Prozess, den wir eingeleitet haben, der richtige: Dass man Anreize schafft, vor Ort zu mehr Gemeinsamkeit zu kommen. Wir haben gerade einige gemeindliche Veränderungen in der Gesetzgebung. Das werden wir auch weiter befördern.
Muss nicht auch mehr Druck erzeugt werden?
Druck erzeugt Gegendruck. Auf gemeindlicher Ebene ist es wichtig, dass diejenigen, die vor Ort Verantwortung tragen, das Ganze mitgestalten wollen.
War es ein Fehler, Bürgermeister und Landräte direkt zu wählen?
Ich hatte damals eine andere Auffassung und will im Nachhinein nicht der Besserwisser sein. Aber ich glaube schon, dass die Integration auch der direkt gewählten Bürgermeister und Landräte in die jeweilige politische Familie ganz wichtig ist. Demokratie lebt davon, dass es Meinungsbildung in Parteien gibt. Und sie lebt auch davon, dass Leute aus diesen Gruppen heraus in besondere Verantwortung gehen, dass sie von den Parteien getragen werden und umgekehrt die Partei mittragen. Eine Individualisierung zwischen Partei und Amt wird der Demokratie auf Dauer keinen guten Dienst leisten.
Es hat nicht den Eindruck, dass die Direktwahl die Parteibindung der Bürgermeister fördert …
Es mag sein, dass an der einen oder anderen Stelle die Abkopplung von Partei und Person auch dadurch befördert wird, weil nach 5, 10 oder 15 Jahren manche glauben, sie seien als Person nur alleine gewählt. Nur: Wenn man die Bindung an die eigene Partei vergisst, hat man für den Generationswechsel keine Vorkehrungen getroffen. Insofern wünsche ich mir diese klare Bindung und habe das auf dem jüngsten CDU-Parteitag auch deutlich gemacht.
Es wird immer schwieriger, Kandidaten zu finden und zu motivieren.
Das hängt aber mit der allgemeinen politischen Debatte in Deutschland zusammen. Politik steht nicht gerade im Ruf, besonders unterstützenswert zu sein. Es wird eher ein Bild von Politikern gezeichnet, das abstößt. Aber wir brauchen Politikerinnen und Politiker, und deshalb darf man nicht der ganzen Gruppe das Vertrauen entziehen, weil 5 oder 10 Prozent ihre Aufgabe nicht so wahrnehmen, wie sie es sollten.
Das hat auch seinen Grund, dass der Ruf der Politiker so ist, wie er ist. Wenn man jetzt die aktuelle Diskussion um Gerhard Schröder sieht. Das befördert nicht gerade …
Mich hat das nicht verwundert. Es ist genau so gekommen, wie ich das meiner Frau vor fünf Monaten gesagt habe: Falls die Wahl nicht gut geht, landet Schröder bei Gasprom. Deshalb wundert mich die Verwunderung. Ich habe keine Sekunde daran gezweifelt, dass das so kommt.
Brauchen wir einen Ehrenkodex?
Ein Ehrenkodex bringt nicht viel, auch wenn er nicht schadet. Am Ende kann nur jeder für sich selbst entscheiden, ob er sich ehrenvoll verhält oder nicht. Das ist eine Frage des Anstands.
Schröder hat bis zuletzt ganz anders geredet und dann übernimmt er Gasprom. Ist das nicht ein starkes Stück?
Es sind ja so viele Themen. Die Betreiberfirma hat den Sitz in der Schweiz, dem Steuerparadies in Europa. Bis vor wenigen Monaten sollte man von diesem Bundeskanzler lernen, dass einheitliche Steuersätze in Europa ein wichtiges Ziel sind. Ich halte das zwar für falsch, aber es war eine der Lehren, die wir lernen sollten. Die zweite war, dass man den so genannten Heuschrecken wachsam gegenüberstehen soll. Aber ist das jetzt etwa nicht die große Wirtschaft, die hier miteinander Geschäfte gemacht hat? Das ist ja keine mittelständische Kleingruppe, bei der Schröder einsteigt. Das ist es, was mir Sorge macht: Dass die Menschen sagen, so sind sie, die Politiker - sie reden sonntags so und montags handeln sie ganz anders.
Zurück zu den Landkreisen und der Behördenstrukturreform. Sie wollen die Umweltämter auflösen. Wäre es dann nicht sinnvoll, die Kreise auch so groß zu machen, dass sie die Experten vorhalten und die Aufgaben der Umweltämter erfüllen können?
Wenn wir die Umweltverwaltung neu ordnen, dann gibt es zwei Ziele. Es soll keine Sonderbehörden mehr geben. Und es soll in den Kreisen entschieden werden, was vor Ort entschieden werden kann. Wo eine Kompetenzbündelung notwendig ist, wird sie beim Landesverwaltungsamt angesiedelt. Das Prinzip gilt auch für die Versorgungsverwaltung. Wir wollen mehr Bürgernähe, und wo größere Entfernungen zurückzulegen sind, sollen das die Daten tun und nicht die Bürger.
Wann gibt es bei den Wasser- und Abwasserzweckverbänden effektivere Strukturen?
Bis März wird der Innenminister das Konzept vorlegen. Die Ausgangslage ist: Auf der einen Seite gilt die kommunale Selbstverwaltung als Grundprinzip, aber auf der anderen Seite sehen wir auch, dass das zum Teil nicht zu Strukturen geführt hat, die eine gerechte und gleichmäßige Behandlung im Land gewährleisten. Abgesehen von dem Konzept, sind wir ja jetzt schon dabei, einzelne Strukturen zu verändern. So wird Wazor mit Ilmenau fusionieren. Es gibt ständig Erweiterungen.
Der Landtag hat im Sommer die von Ihnen vor der Wahl angekündigten Reformen beschlossen. Haben sie sich bewährt?
Die Grundrichtung ist, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Dazu haben wir die regionale Entwicklungsstruktur stärker berücksichtigt und unbebaute und sehr große Grundstücke in den Dörfern entlastet. Das hat sich bewährt.
Im Südwesten ist immer noch keine Ruhe eingekehrt.
Da muss man dann auch Strukturveränderungen vornehmen, denn die Probleme scheinen in der Struktur begründet zu sein. Es gibt schließlich auch ländliche Gebiete in Thüringen, in denen die Aufgaben in den vergangenen 10, 15 Jahren immer vorbildlich gelöst worden sind.
Aber das muss auch verwirklicht werden …
Ich habe bewusst versucht, einen Spagat zu halten. Ich will auch, dass die, die kommunale Verantwortung tragen, nicht entmutigt werden. Die Gründe dafür, dass solche Entwicklungen stattgefunden haben, sind mir schon klar. Aber es ist niemandem geholfen, wenn - wegen des Frusts, der da entstanden ist - am Ende die PDS Siege feiert. Das wäre fatal. Insofern will ich den Kommunalpolitikern helfen, dass sie ihre Strukturen, ihre eigene Entwicklung verantwortlich in den Griff bekommen.
Wie wirken sich die Veränderungen in Berlin - Stichwort große Koalition - auf die Landespolitik aus?
Erstens hoffe ich auf Rückenwind. Die ordnungspolitischen Maßnahmen werden alle nicht in Thüringen entschieden, deswegen mein Einsatz für bundespolitische Reformen. Zweitens wirkt sich die neue Politik hoffentlich auch auf die Mentalität aus: Wir haben das Problem, dass in den vergangenen Jahren der Eindruck vermittelt worden ist, als könne man mit einer auf Neid basierenden Politik bestehen, die an die Stelle von mehr Leistung mehr Verteilung und Gleichheit setzt. Diese Koalition wird klar machen, dass wir in einem modernen Land in der Mitte Europas nicht gegen den Strom erfolgreich sein können.
Ist der Thüringer Ministerpräsident jetzt abkömmlicher in Berlin, nachdem die große Koalition steht?
Er ist und bleibt ja in Thüringen. Mir war wichtig, dass diese Große Koalition zustande kommt, weil die Deutschen sich nicht entschieden haben, welche Politikinhalte sie bevorzugen. Es gab die große Sorge: Wenn wir uns nicht einigen, wird die PDS noch stärker. Mir war es aber auch wichtig, den Blick aus den neuen Ländern mit einzubringen. Und drittens schadet es auch nicht, dabei zu sein, wenn alle auf höchster Ebene wochenlang sehr eng zusammenarbeiten. Das schafft ein hohes Maß an Vertrautheit.
Das Land staunt über Angela Merkel. Ist das überraschend?
Nein. Angela Merkel ist politikerfahren. Es war klar, dass sie das Amt auch ausüben kann, wenn sie die Chance dazu hat, und dass sie mit dieser Erfahrung, aber auch mit ihrer Klugheit, sich immer wieder auf Neues einstellen zu können, erfolgreich sein wird. Das Amt wird auch noch schwierige Zeiten mit sich bringen, keine Frage. Aber in den ersten Wochen hat sie es sehr klug ausgeübt.
Wann kommt sie erstmals als Kanzlerin nach Thüringen?
Ich hatte gehofft, dass sie heute zur Eröffnung der A 71 kommt. Aber jetzt dauert der EU-Gipfel wahrscheinlich länger. Ihr erster Besuch wird wohl zum Spatenstich für das N3-Projekt von Lufthansa und Rolls-Royce stattfinden, der derzeit vorbereitet wird.
Das Jahr ist noch nicht ganz zu Ende. Der Doppelhaushalt steht nächste Woche im Landtag zur Verabschiedung an. Ist alles in trockenen Tüchern - inklusive der eigenen CDU-Mehrheit?
Ich denke, die Geschlossenheit der Fraktion ist gegeben. Wir hatten eine Haushaltsklausur in Bad Blankenburg, wo der Haushalt sehr intensiv diskutiert worden ist. Und es herrschte große Klarheit, welche Veränderung noch vorgenommen werden sollten.
War auch Christian Köckert dabei, der Ihnen beim 2005er Haushalt Schwierigkeiten gemacht hat?
Er war dabei.
Besteht das Risiko, dass Sie einen Nachtragshaushalt verabschieden müssen und der Haushalt dann verfassungswidrig wird, wenn die EU-Mittel nicht so fließen, wie erhofft?
Nein. Die Verfassungsmäßigkeit wird nicht in Frage gestellt sein. Aber die Risiken bleiben. Die Gefahr ist sehr groß, dass wir bei der EU jährliche Haushalte bekommen und uns Jahr für Jahr auf neue Verhandlungen einstellen müssen.
Drohen den Bürgern Hiobsbotschaften im kommenden Jahr?
Alles, was an Reformen gemacht wird, ist keine Hiobsbotschaft, sondern eine optimistische Botschaft.
Und welche optimistischen Botschaften stehen an?
Ich habe eine Umfrage gelesen, wonach nur 5 Prozent der Deutschen glauben, dass die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig sind. Das heißt: 95 Prozent gehen davon aus, dass sie das nicht sind. Eine Reform ist also auch deshalb notwendig, damit wieder mehr Hoffnung entsteht. Ich kann uns allen nur sagen, auch in der Weihnachtszeit: Wir sollten etwas von unseren Eltern und Großeltern lernen. Die haben gerade auch in schwierigeren Zeiten immer nach der Devise gelebt: Unseren Kindern soll es einmal besser gehen. Wir müssen ein Stück weit diesen Ich-Bezogenheits-Blickwinkel verlassen und versuchen, die Perspektive Deutschlands in den nächsten Jahren zu sehen. Dazu müssen wir Veränderungen organisieren. Wenn wir das nicht tun, bestrafen wir nicht nur uns selbst, sondern vor allem bestrafen wir unsere Kinder.
Ihr Weihnachts- und Neujahrswunsch?
Dass nach diesem turbulenten politischen Jahr jeder in der Weihnachtszeit auch die Chance hat zu erkennen, jetzt geht es in Deutschland voran. Und sich auch mental auf diese Veränderung einstellt. Damit wir Thüringen gut voranbringen und den Wert der Freiheit nicht gering schätzen.

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Gesetze nicht mehr für die Ewigkeit gemacht

Politik wird nicht mehr für die Ewigkeit gemacht. Sie muss schneller Fehlentwicklungen entgegensteuern, als dies in Zeiten voller Kassen nötig war. Der Osten hat diese Erfahrung bereits gemacht - und kann sie nun in die Regierungspolitik einbringen. Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) erklärt im TLZ-Interview, warum Angela Merkel und Matthias Platzeck als Parteichefs der beiden großen Volksparteien jetzt für ganz Deutschland von Gewinn sein können.
Wie steht es um die Große Koalition?
Mein Eindruck ist: Nach den Turbulenzen wird Matthias Platzeck als designierter SPD-Vorsitzenden gradlinig auf die Große Koalition zugehen.
Die Turbulenzen sind sowohl über die SPD als auch über die CSU hinweggefegt. War das nötig, um klar in die Schlussrunde der Verhandlungen gehen zu können?
Bei der SPD war es wichtig, nicht weiter in Flügeln zu denken, sondern sowohl Matthias Platzeck als auch Franz Müntefering eine klare Handlungsgrundlage im Auftrag der Gesamtpartei zu geben. Die Entscheidung, dass Michael Glos Minister wird, hat in der Fraktionsgemeinschaft CDU/CSU volle Unterstützung.
 | Müntefering war für Edmund Stoiber der stabilisierende Faktor |
Sie als Ministerpräsident haben gleich gesagt: Ich bleibe in Thüringen. Edmund Stoiber aber war lange Zeit unentschlossen, sogar wankelmütig. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Genau erklären kann er das wohl nur selbst. Ich glaube, dass ihn das Ministerpräsidentenamt sehr stark prägt hat. Und die neue Aufgabe in Berlin hätte eine große Zahl von Fragen offen gelassen: Welche Gestaltungsmöglichkeiten gibt es überhaupt? Was bedeutet es für den Wirtschaftsminister, die Haushaltskonsolidierung mit zu unterstützen? Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit der SPD? Da war Franz Müntefering für Stoiber ein stabilisierender Faktor. Seine Absage bringt natürlich Debatten, aber die wird vor allem die CSU in Bayern führen...
Mit Angela Merkel und Matthias Platzeck stehen 15 Jahre nach der Wiedervereinigung an den Spitzen der beiden großen Volksparteien vormalige DDR-Bürger. Wird das für die Politik in Deutschland erheblich sein?
Das ist schon ein ganz starker Wechsel, denn das ist ein wichtiger Schub in Richtung Normalität. Das heißt: Die Herkunft ist nicht entscheidend, sondern wie der- oder diejenige die Aufgabe wahrnimmt und meistert. Dass das so rasant passiert, hängt sicherlich auch mit der besonderen politischen Konstellation zusammen. Ich empfinde das als ein Stück positiv gelebte Wiedervereinigung.
Ähnlich wie Angela Merkel, die eine Patriotismusdebatte angestoßen hat, setzt auch Matthias Platzeck wortwörtlich auf "unser Deutschland". Hat das eine Ursache in der Herkunft beider?
Matthias Platzeck gehört zur selben Generation wie Frau Merkel und ist froh, im wiedervereinigten Deutschland zu Hause zu sein. Wir können mit einem solchen Thema unverkrampfter umgehen und es ist auch wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass zur Freiheit Bindung und kulturelle Verwurzelung gehören. Trotz der schwierigen Geschichte Deutschlands können wir uns zu Deutschland bekennen und das auch stolz sagen - und das tun Matthias Platzeck und Angela Merkel.
In den neuen Ländern hat in den vergangenen 15, 16 Jahren ein Umbruch stattgefunden, der den Menschen viel abverlangt hat. Einerseits war es ein Aufholprozess mit Blick auf westliche Standards, zugleich ein ungeheurer Lernprozess, weil bis hinein ins Alltäglichste sich fast alles Gewohnte verändert hat. Währenddessen ging das Leben im Westen seinen gewohnten Gang. Was bedeutet in diesem Zusammenhang, dass ein wichtiger Teil der Regierenden nun aus dem Osten kommt? Wird nun das ganze Land einer schnelleren Veränderung unterworfen?
Ja. Es steht generell auf der Tagesordnung, dass die Veränderungsprozesse in Deutschland, Europa und der Welt jetzt stärker und dynamischer sind - und da muss die deutsche Politik Schritt halten. Eine Reihe von Veränderungen ist in den vergangenen Jahren nicht in dem Maß vorangebracht worden, wie es nötig gewesen wäre. Das betrifft das Wirtschaftswachstum, die Arbeitsmarktentwicklung ebenso wie die Sozialstaatssicherung... Da haben die neuen Länder einen Erfahrungsvorsprung.
Muss mit der schnelleren Gangart Ost ein anderer Weg eingeschlagen werden als der bisherige, der vor allem darauf zielte, den alten Westen nachzubauen?
Ja. Wir werden Themen, die in den neuen Ländern erprobt wurden und werden, einbringen. Unsere Art der Politikgestaltung, am Problem orientiert schneller zu einer Lösung zu kommen und sich nicht in ideologischen Debatten zu verstricken, diese Art wird der deutschen Politik gut anstehen.
Was würde sich Ihrer Erfahrung nach beim Thema Entbürokratisierung und Deregulierung für ganz Deutschland als lohnend erweisen?
Ein Beispiel: Mit Blick auf die mittelständische Wirtschaft bringen wir das Forderungssicherungsgesetz ein. Deutliche Erleichterungen wird es auch bei Planfeststellungsverfahren geben durch einen abgekürzten Weg bei den Widersprüchen und dadurch, dass Planfeststellungsbeschlüsse zehn statt fünf Jahre Gültigkeit haben. Zudem gibt es vor allem aus der Zusammenarbeit von Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt eine Liste, die 20 bis 25 Punkte zur Entbürokratisierung, Deregulierung und Beschleunigung umfasst. Diese Punkte, die auch in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft entstanden sind, werden in die Koalitionsverhandlungen aufgenommen.
 | Mit Kombi-Lohn Brücke in den ersten Arbeitsmarkt bauen |
Arbeitslosengeld II soll in Ost und West angeglichen werden - nach oben oder nach unten. Bei den Wohnzuschüssen soll gespart werden. Eltern sollen für ihre Kinder bis zum 25. Lebensjahr unterstützungspflichtig sein... All das passiert, weil der Staat mit der hohen Zahl an Arbeitslosen an seine finanziellen Grenzen gelangt. Wie wollen Sie mehr Menschen den Zugang zur Arbeitswelt ermöglichen?
Ich bin sehr froh, dass es offenbar einen Konsens in der Kombilohn-Frage gibt. Wenn es so kommt, werden Zuschüsse des Sozialstaats zu Lohnbestandteilen vom ersten Arbeitsmarkt gewährt. Es ist wichtig, dass es so eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt gibt. Das war bisher tabu. Wir haben uns sowohl in der Arbeitsmarktgruppe als auch in der Aufbau-Ost-Gruppe dazu entschlossen. Bei der Umsetzung sind aber noch viele Feinheiten zu bedenken.
Was das Arbeitslosengeld II angeht, ist es richtig, dass die Unterscheidung zwischen Ost und West nicht sinnvoll ist. Aber angesichts der Haushaltslage halte ich es für überlegenswert, den West-Betrag an das Ostniveau anzupassen - und nicht umgekehrt.
Bei Hartz IV wurde mit grober Nadel gestrickt - und nun setzt das große Jammern über die Schlupflöcher ein. Droht nicht auch beim Kombi-Lohn die Gefahr, dass nachher der Staat Zuschüsse zahlt, obwohl es objektiv nicht nötig wäre? Welche Lehre muss der Gesetzgeber ziehen, damit ihn seine Reformen nicht immer teurer zu stehen kommen und die Wirkung verpufft?
Ich ziehe zwei Konsequenzen. Zum einen wurden bei Hartz IV die Auswirkungen nicht bis zum Ende bedacht, weil wir damals unter enormem Zeitdruck handeln mussten. Zum zweiten muss die Politik in einem dynamischen Prozess bereit sein, dann zu handeln, wenn sich die Fakten entscheidend geändert haben. Politiker müssen heute wie Manager kurzfristig steuernd eingreifen, wenn sich Konzepte als nicht vollständig oder falsch erweisen. Gesetze werden nicht mehr für die Ewigkeit gemacht.
Von Gerlinde Sommer (TLZ)

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"Damit halte ich das auch für erledigt"

Thüringens Ministerpräsident erwartet keine Entschuldigung von Stoiber
Nach den Erläuterungen Stoibers zu seinen Äußerungen über das Wahlverhalten der Ostdeutschen ist für Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU), die Sache erledigt. Stoiber sei es mit der Formulierung "Frustrierte" nach eigenen Worten um die Spitzen des Linksbündnisses gegangen, sagte Althaus. Eine Entschuldigung Stoibers bei den Menschen in den neuen Ländern erwarte er nicht, betonte Althaus.
Klaus Remme: Wenn es denn in wenigen Wochen zu Neuwahlen kommt, dann ist das Ergebnis und mehr noch die anschließende Regierungsbildung nach jüngsten Meinungsumfragen offen. Schwarz/Gelb fehlt in den Umfragen neuerdings eine eigene Mehrheit. Im Osten verliert die Union zu Gunsten der SPD. Zum Zeitpunkt der Umfrageerhebung waren die Stoiber-Worte über ostdeutsche Wähler noch gar nicht bekannt. Deshalb könnte die Union im Osten weiter abnehmen. So klingt es, wenn Wahlkampfporzellan zerschlagen wird.
O-Ton Stoiber: Wenn es überall so wäre wie in Bayern, hätten wir überhaupt keine Probleme. Nun meine Damen und Herren, wir haben leider nicht überall so kluge Bevölkerungsteile wie in Bayern. Die Stärkeren müssen manchmal die Schwächeren ein Stück mitziehen. Das ist halt einmal so. Wir brauchen, um manche Defizite in Sachsen und in Sachsen-Anhalt ausgleichen zu können, und ich will nicht, dass noch einmal im Osten die Wahl entschieden wird.
Remme: Und so klingt es, wenn Kanzlerkandidatin Angela Merkel versucht, das Porzellan zu kitten.
O-Ton Merkel: Darin steckt sicherlich eine Sorge, nämlich die Sorge, dass Leute, die Opposition wollen, die nichts Konstruktives denken - das sind sicherlich Herr Gysi und Herr Lafontaine -, dass die natürlich auch viele Menschen beeindrucken können. Aber Wählerbeschimpfung, das ist das falsche, was wir nicht brauchen können. Und wissen Sie alles, was dazu beiträgt, ob gewollt oder nicht gewollt, dass Deutschland letztlich eher wieder gespalten wird, als dass wir zur Einheit kommen, ist völlig kontraproduktiv.
Remme: Die Kanzlerkandidatin der Union Angela Merkel gestern Abend im Zweiten Deutschen Fernsehen. Am Telefon mitgehört hat jemand, der sich mit ostdeutschen Befindlichkeiten bestens auskennt, der Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus (CDU). Herr Althaus, guten Morgen!
Dieter Althaus: Guten Morgen Herr Remme!
Remme: Herr Althaus, da kann Herr Söder lange rumfabulieren. Meinungsumfragen zeigen deutlich, wie der Wähler die Worte Stoibers verstanden hat. Was sagen Sie?
Althaus: Ich bin ganz dankbar, dass Edmund Stoiber gestern auch deutlich gemacht hat, dass seine Äußerungen missgedeutet werden können und dass es ihm überhaupt nicht in den Sinn kommt, Wähler zu beschimpfen, denn wir brauchen in ganz Deutschland eine Aufbruchstimmung für den Wechsel und das gilt gerade auch für die neuen Länder, denn sie leiden besonders unter der schlechten rot-grünen Politik.
Remme: Was ist jetzt wichtiger für Sie, einen Parteifreund zu schützen, oder sich schützend vor Ihre Wähler zu stellen?
Althaus: Die Wählerinnen und Wähler sind das Ziel im Wahlkampf. Wir wollen sie überzeugen, dass unsere Programmatik für den Wechsel auch gelingt und dass sie umsetzbar ist, und wir wollen deutlich machen, dass das was Rot/Grün in den letzten sieben Jahren erreicht hat gerade das Zusammenwachsen in Deutschland nicht befördert hat. Das kann man sehr konkret nachweisen und deshalb ist gerade auch für Länder wie Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern der Wechsel so entscheidend. Angela Merkel wird mit ihrer Herkunft und ihrer Glaubwürdigkeit mit dieser Programmatik, die die Union gemeinsam aufgestellt hat, auch für den Wechsel die richtigen Inhalte setzen.
Remme: Wo Sie schon Missverständnisse für möglich halten: Wir haben leider nicht überall so kluge Bevölkerungsteile wie in Bayern. Wie soll das denn ein ostdeutscher Wähler richtig verstehen?
Althaus: Das wird sicher missgedeutet und das kann auch missgedeutet werden. Insofern ist es wichtig, dass auch bei aller Aufgeregtheit im Wahlkampf und bei aller Wahlkampfrhetorik deutlich wird, dass insgesamt in Deutschland genügend Wählerinnen und Wähler für diesen Wechsel stehen. Dass es auch Wählerinnen und Wähler gerade in den neuen Ländern gibt, die frustriert sind, die möglicherweise auch ihren Protest ausdrücken wollen und dass deshalb diese Linkspartei eine relativ hohe Zustimmung hat, ist nichts Neues. Das war auch bei den letzten Landtagswahlen für die PDS so. Aber wir wollen ja die über 70 Prozent der Wählerinnen und Wähler ansprechen, die für die Demokratie, für die Freiheit und für die soziale Marktwirtschaft stehen. Genau das ist das Ziel auch im Wahlkampf.
Remme: Erwarten Sie eine Entschuldigung von Edmund Stoiber?
Althaus: Ich habe das gestern so verstanden, dass er inzwischen seine Worte auch erläutert hat. Er hat ja auch gesagt, meine Äußerungen werden missgedeutet. Ich bestimme für niemanden. Ich möchte wachrütteln. Damit halte ich das auch für erledigt.
Remme: Herr Althaus, vielleicht hat Stoiber ja auch Recht und die Ostdeutschen sollten tatsächlich von den klugen Bayern lernen. Ist das möglich?
Althaus: Man darf ja nicht unterscheiden. Man muss schon auch die unterschiedlichen Geschichten, dann wenn man unterscheidet, bewerten. 15 Jahre Wiedervereinigung, 15 Jahre freiheitliche Demokratie, 15 Jahre soziale Marktwirtschaft und das nach fast 40 Jahren Sozialismus, das hat in den neuen Ländern andere wirtschaftliche Probleme geschaffen als 50 Jahre Freiheit und soziale Marktwirtschaft in den alten Ländern. Deshalb sind wir immer noch im Aufholprozess. Aber das was gestaltet worden ist, haben die Menschen hier gestaltet, natürlich auch mit gemeinsam der Politik. Ich glaube aber es gibt überhaupt keinen Grund, pessimistisch zu sein in den neuen Ländern. Es gibt auch keinen Grund, den Menschen nicht zuzutrauen, für die soziale Marktwirtschaft hart zu arbeiten, denn das tun sie Tag für Tag.
Remme: Es waren ja nicht nur die Worte Edmund Stoibers, die für Unruhe gesorgt haben. Vorher hatten wir Bemerkungen von Herrn Schönbohm. Wie erklären Sie denn diese Häufung von angeblichen Missverständnissen westdeutscher Unionspolitiker, wenn es um den Osten geht?
Althaus: Das muss jeder für sich selbst erklären, der möglicherweise etwas äußert, was missverständlich sein kann. Manchmal ist es sicher die Aufgeregtheit im Wahlkampf, aber ich denke das Leben, die Lebensperspektive, aber auch die Lebensgeschichte eines jeden ernst zu nehmen - und das gilt für ganz Deutschland - ist entscheidend. Ich wünsche mir, dass wir gerade auch nach den Erfolgen, die wir gemeinsam in den letzten 15 Jahren gestalten konnten, uns nicht immer auf diese Trennungsdiskussion einlassen, denn diese Trennungsdiskussion bringt uns nicht weiter.
Remme: Ich will sicherlich trennen, aber es gibt ja unterschiedliche Verhältnisse in West und Ost. Braucht die Union dafür eine eigene Ost-Wahlkampfstrategie?
Althaus: Nein, kein eigenes Programm, aber sicherlich muss das besondere Problem einer Region aufgegriffen werden. Wenn wir eine Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern haben, die in der gesamten Fläche deutlich über der in den alten Ländern liegt, wenn wir immer noch Rückstände haben bei der Infrastruktur, bei der Entwicklung der Produktivität, wenn unsere Unternehmen im Durchschnitt erheblich kleiner sind und wenn auch viel mehr Menschen bedroht sind von Arbeitslosigkeit, dann muss man auch auf diese besonderen Probleme eingehen. Das gilt dann nicht für den Osten insgesamt, sondern auch das muss regionalisiert betrachtet werden. Das ist dann aber Aufgabe auch der Wahlkreiskandidaten und derer, die in Wahlkreisen dann auch aktiv aus der Bundespartei Wahlkampf machen.
Remme: Wer ist in diesem Wahlkampf Ihr Hauptgegner, die SPD oder die neue Linke?
Althaus: Die Hauptauseinandersetzung bleibt mit Rot/Grün, denn Rot/Grün hat in den letzten sieben Jahren und ist ja auch im Moment noch in Verantwortung für Deutschland und Schröder ist ja letztlich an der eigenen Partei gescheitert und auch mit Rot/Grün gescheitert. Es ist ja nicht so, dass wir Wahlen haben, weil der normale Rhythmus ansteht. Aber die Linkspartei ist eine besondere Herausforderung, weil hier eine Programmatik von vorgestern mit Politikern von gestern verbunden wird. Deshalb müssen wir uns auch im Wahlkampf mit dieser Linkspartei wie gemeinsam mit der PDS besonders auseinandersetzen und deutlich machen, dass hier keinerlei Ansätze sind, die freiheitliche Demokratie zu gestalten.
Remme: Ist es noch realistisches Ziel, die Union zur stärksten politischen Kraft im Osten zu machen?
Althaus: Das ist unser Ziel und wir werden auch dafür kämpfen. Der Wahlkampf beginnt ja in seiner heißen Phase erst jetzt in den nächsten Tagen. Wir werden alle gemeinsam hart dafür arbeiten, dass gerade in den neuen Ländern dann entsprechende Ergebnisse für die Union heraus kommen, denn wir brauchen den Wechsel und der Wechsel ist ein Wechsel für ganz Deutschland. Deshalb muss er auch in den neuen Ländern erreicht werden.
Remme: Und würden Sie sich nach einem Wahlsieg der Union wohl fühlen, wenn nach solchen Worten ein Mann wie Edmund Stoiber gesamtdeutsche Verantwortung in einem Kabinett trägt?
Althaus: Edmund Stoiber hat ja für sich erklärt, dass er diese Entscheidung nach der Wahl treffen wird. Insofern ist an dieser Stelle dann auch sein Wort wichtig und das wird dort nach der Wahl gesprochen.
Remme: Dieter Althaus, Ministerpräsident von Thüringen (CDU). Herr Althaus, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Althaus: Bitte schön!

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"Sie macht es richtig"

Im TA-Gespräch: Thüringens CDU-Regierungschef Dieter Althaus über Angela Merkel und den Osten
Dieter ALTHAUS (47), Thüringer Ministerpräsident und CDU-Chef, verspricht im Fall eine Sieges bei der Bundestagswahl einen schnellen ICE-Bau und eine gesetzliche Festschreibung des Solidarpaktes.
Wie viele Thüringer Wahlkreise verlieren Sie an die PDS?
Keinen. Es ist unser Ziel, dass alle unsere neun Direktkandidaten gewinnen. Allerdings ist richtig: Wegen der Enttäuschung vieler Wähler über die SPD ist die Linkspartei in Umfragen zurzeit ziemlich stark. Aber das Hoch der umbenannten PDS wird sich nicht halten.
Sind nicht die etablierten Parteien mit ihrer Polemik für dieses Hoch verantwortlich?
Wir müssen ja sagen, was ist: Die Linkspartei steht in der Nachfolge der SED, und sie propagiert Inhalte von vorgestern mit Personen von gestern. Das ist keine Polemik, sondern die Realität.
Dennoch: Muss die Union ihre Strategie im Osten ändern?
Nein. Wir haben in unserem Programm ein Kapitel dem Osten gewidmet . . .
. . . voller Allgemeinplätze . . .
. . . nein, die Aussagen sind sehr konkret.
Wenn Sie Geld für die Verkehrswege versprechen: Wann fährt denn der ICE?
Sicher nicht erst 2020 oder 2025, wie es die rot-grüne Koalition sagt. Das ist absurd. Viele Brücken stehen schon; das Baurecht droht zu verfallen.
Also wann fährt er?
Wenn wir regieren, muss die Strecke über Erfurt sofort in Angriff genommen werden, das war immer die Forderung unserer Bundestagsfraktion. Spätestens Anfang des nächsten Jahrzehnts sollte die Trasse fertig sein.
Und wer zahlt das?
Man muss da sicher umschichten - und über eine alternative Finanzierung reden.
Gilt das auch für den Lückenschluss zwischen den Autobahnen 71 und 38?
Ja. Die Strecke hat Priorität für Thüringen und für den gesamten mitteldeutschen Raum.
Im Wahlprogramm wird der Solidarpakt garantiert. Wird der Korb 2 gesetzlich fixiert?
Das ist Konsens in der Union. Bis jetzt sind nur die gut 100 Milliarden an Sonderbedarfszuweisungen fest geregelt, die bis 2019 fließen. Die restlichen 51 Milliarden, also der Korb 2, sind nur eine Art Zusage. Wir brauchen aber Planungssicherheit - und deshalb ein Gesetz.
Die Union verspricht, allgemein, bürokratische Erleichterungen im Osten. Bloß welche?
Vor allem im Bau- und Umweltrecht. Die Genehmigungen, gerade für Investitionen, müssen schneller und einfacher kommen, wie beim Verkehrswegebeschleunigungsgesetz.
Und Sie wollen eine Opferrente für SED-Opfer. Warum schweigen Sie über die Höhe?
Wir schweigen nicht. Sie soll zwischen 150 und 600 Euro liegen, je nach Haftzeit. Dazu gab es bereits einen Gesetzentwurf.
Trotz aller Gaben: Ihr Generalsekretär findet, Angela Merkel müsse mehr als Ostdeutsche erkennbar sein.
Unsere Kanzlerkandidatin hat eine ostdeutsche Biografie, und dazu bekennt sie sich auch.
Und warum merkt das dann Ihr Generalsekretär nicht?
Da interpretieren Sie Mike Mohring meiner Meinung nach falsch. Angela Merkel macht es richtig, so wie sie es macht.
MARTIN DEBES / TA

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Angela Merkel muss ihr Profil als Reformerin beibehalten!

Thüringens CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus über die Steuerdebatte der Union, eine Neujustierung der Arbeitsmarktreformen und die Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Ein Handelsblatt-Interview.
Handelsblatt: Sie gelten als Anwärter für das Amt des Aufbau-Ost-Ministers einer Regierung Merkel, wollen aber nicht nach Berlin. War die Politik Stolpes so gut, dass Sie sich nicht persönlich engagieren müssen?
Althaus: Im Gegenteil. Stolpes Politik muss von Grund auf geändert werden, sie entbehrt aller Durchsetzungsfähigkeit und Ideen.
Konkret bitte.
Ganz oben auf der Dringlichkeitsliste stehen die Verhandlungen mit der EU, die in diesem Jahr zu Ende gebracht werden müssen. Es ist unumgänglich, dass sich die Bundesregierung beim EU-Beitrag verbindlich von der Ein-Prozent-Grenze der Wirtschaftsleistung verabschiedet und sich zu einem höheren Prozentsatz verpflichtet. Zweitens muss sie bei den vereinbarten Investitionen in die Infrastruktur bleiben und sie umsetzen, drittens müssen wir Klarheit bekommen über die 51 Mrd. Euro, die im Solidarpakt II nicht endgültig fixiert sind.
Wie sieht die Wachstumsperspektive einer schwarz-gelben Regierung aus?
Das Allerwichtigste ist wirklich, dass wir aus der Malaise auf dem Arbeitsmarkt herauskommen. Das geschieht nur durch eine tatsächlich wachstumsorientierte Politik. Allein dadurch kann eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt eingeleitet werden und kann - wegen der dann höheren Steuereinnahmen - die Handlungsfähigkeit von Bund, Ländern und Kommunen verbessert werden.
Gerade hier überschlagen sich schon jetzt die Forderungen in der Union, kaum dass der Wahlkampf begonnen hat. Eigenheimzulage, Pendlerpauschale, Mehrwertsteuer - alles steht zur Debatte. Wohin soll die Reise gehen?
Ein Gesamtkonzept muss her, Einzelvorschläge zu debattieren führt nicht weiter. Natürlich müssen bei einem neuen Steuerrecht auch Subventionen auf den Prüfstand, und sie müssen abgebaut werden. Dabei muss auch das Verhältnis zwischen direkten und indirekten Steuern neu justiert werden.
Also Mehrwertsteuern hoch?
Dies jetzt zu fordern ist kontraproduktiv. Wir haben ein Umsatzsteuerproblem in Deutschland, sie bricht weiter zusammen, die Sparanlagen steigen. Das Vertrauen in den Finanz- und Wirtschaftsstandort Deutschland steigern wir nicht, indem wir Steuern erhöhen.
Der Kanzler hat reagiert und gesagt: Lasst uns die Eigenheimzulage doch abschaffen!
Ich wiederhole: Wenn man jetzt nur einzelne Subventionstatbestände abbaut, ohne sie in ein Gesamtkonzept zu integrieren, geht das nicht. Die Eigenheimzulage kann man nicht isoliert kürzen oder aufgeben, um damit etwa Investitionen in Bildung und Hochschule zu finanzieren.
Ihr Kollege Müller aus dem Saarland will die Zulage ganz abschaffen. Formulieren Sie das bedächtiger, weil die Eigenheimzulage im Osten eine größere Bedeutung hat als im Westen?
Ich denke schon. In den ersten Jahren hat sie dazu beigetragen, dass Eigentum geschaffen werden konnte. Beim Subventionsabbau sehe ich das ein bisschen rationaler als andere: Wenn ein neues Steuerrecht die Familien in eine bessere Situation versetzt und entlastet, wird es dadurch leichter möglich, die Subvention zu kürzen oder abzuschaffen. Der Schlüssel liegt im gesamten Steuersystem.
Auch bei der Abschaffung der Pendlerpauschale wird der Osten größere Probleme bekommen.
Man muss diese Subvention ja nicht über eine Pendlerpauschale organisieren. Unser Vorschlag ist, hier eine differenzierte Arbeitnehmerpauschale einzuführen, die besondere Belastungen berücksichtigt.
Wann setzt die Union das Gesamtkonzept in Kraft?
Wenn wir zügig arbeiten, könnte das, realistisch gesehen, Ende 2006 bis Mitte 2007 auf den Weg gebracht werden.
Und am Ende wird eher "mehr Transparenz" als "weniger Steuern" drauf stehen?
Unsere Priorität ist tatsächlich mehr Transparenz, also Deregulierung und Entbürokratisierung, gleichzeitig die Harmonisierung der einzelnen Steuersätze.
Werden Sie erfolgreicher sein bei der Harmonisierung zwischen Steuerreform und Gesundheitsreform - und den Krach zwischen CDU und CSU nicht wiederholen?
Ja. Erstens, weil der Druck, etwas für den Standort Deutschland tun zu müssen, groß ist. Und zweitens, weil wir Anfang der 90er-Jahre selber die Erfahrung mit der Steuergesetzgebung gemacht haben, dass, wenn man zu spät mit der Gesetzgebung beginnt - unabhängig von der Blockadehaltung der SPD -, am Ende nichts dabei herauskommt.
Zusätzlicher Druck entsteht durch die Arbeitsmarktreformen, die sich als teuer, aber nicht effektiv erweisen. Wie wird eine CDU-Regierung das Konzept ändern?
Es gibt systematische Probleme, so die Regelung, dass von den so genannten Bedarfsgemeinschaften alle halbe Jahre neue Anträge gestellt werden müssen. Das ist eine Überbürokratisierung. Ich glaube auch, dass Kommunen effektiver arbeiten können als die Bundesagentur. Drittens muss man der Bevölkerung immer wieder sagen: Hartz IV schafft keine neuen Arbeitsplätze, und Arbeitslose haben keine Chance auf einen neuen Job, wenn nicht Hürden für den Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt gesenkt werden, also zum Beispiel der Kündigungsschutz flexibilisiert wird.
Die CDU will die Bundesagentur von der Vermittlung von Jobs trennen?
In Thüringen haben wir mit den Kommunen, die von dem Optionsrecht Gebrauch gemacht haben, gute Erfahrungen gemacht. Ich war zunächst skeptisch, aber die beste Lösung ist tatsächlich die kommunale Verantwortung für die Arbeitsvermittlung. Alle Versuche der vergangenen Jahre, die Mammutbehörde zu reformieren, sind gescheitert.
Soll, wer 40 Jahre gearbeitet hat, länger Geld beziehen?
Man muss differenzieren, um das Gerechtigkeitsproblem aus der Welt zu schaffen. Für jemanden, der 30 oder 40 Jahre gearbeitet hat, sind 24 Monate eine kurz Zeit. Doch die Frage bleibt, welche Perspektive er hat. Da sich momentan kaum eine Perspektive anbietet, vor allem in den neuen Ländern, und damit der Einstieg in das Arbeitslosengeld I nur die Vorstufe zum Einstieg in das Arbeitslosengeld II ist, erhöht sich das Problem. Auch deshalb wäre eine Verlängerung der Frist hilfreich. Wenn jemand 53 oder 54 Jahre alt ist, fällt er innerhalb kurzer Zeit in das Arbeitslosengeld II und hat keine Chance mehr, vor dem Ruhestand zu einer regulären Arbeit zu kommen. Das ist eine Katastrophe.
War es ein Fehler der Union, ihre Zweifel zu unterdrücken und dem Konzept der Bundesregierung zuzustimmen?
Nein, die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe bleibt richtig. Viele der beschlossenen Regeln waren falsch, das haben wir kritisiert, am Ende uns aber dazu entschlossen, diesen Schritt in die richtige Richtung mitzumachen. Das größte Problem bleibt: Es ist in der derzeitigen Arbeitsmarktpolitik kein Gesamtkonzept für mehr Wachstum und Beschäftigung erkennbar. Neue Arbeitsplätze sind nicht durch Hartz IV zu erreichen, sondern durch Reformen auf dem Arbeitsmarkt, bei den Steuern und den sozialen Sicherungssystemen.
Wenn es einen Machtwechsel gibt, ist Deutschland durchgängig schwarz. Dann wird die PDS erstarken.
Sie wird jetzt schon stärker, weil die SPD schwächer wird und es nicht geschafft hat, ihre Inhalte in die Gesellschaft hinein zu vermitteln. Es war immer meine Auffassung, dass die PDS in den neuen Ländern die tatsächliche Alternative zur Politik der Mitte ist - leider.
Wie wird eine neue Bundesregierung gegensteuern?
Mit Wahrheit und Klarheit. Die Globalisierungsentwicklung der letzten Jahrzehnte hat mit der Wiedervereinigung einen starken Schub bekommen. Wesentlich mehr Menschen nehmen am wirtschaftlichen Wettbewerb teil. Eine Regierung muss klar machen, dass sich Deutschland dieser gestiegenen Konkurrenz stellen und sich dafür fit machen muss. Das muss eine Regierung als Herausforderung formulieren. Die mittlerweile übliche Definition des Sozialen in Deutschland als etwas, das gegen die Wirtschaft, gegen das Kapital und gegen die Marktwirtschaft gerichtet ist, muss beendet werden.
Durch den Wahlsieg von Rüttgers, der sich am Tag danach als "Vorsitzender der Arbeiterpartei" definiert hat, könnte Ihr Reformprofil schwerer zu erreichen sein.
Angela Merkel muss ihr Profil als Reformerin beibehalten. Das entspricht auch ihrer inneren Überzeugung. Es ist heute wichtiger denn je, dass Politiker nicht nur auf die kurzfristigen Wirkungen ihrer Äußerungen schauen. Ich glaube, Frau Merkel ist sich dessen bewusst.
Macht es im Jahr 15 der Vereinigung noch einen Unterschied, ob ein Minister oder ein Kanzler aus dem Osten kommt?
Es ist nicht entscheidend, wo jemand herkommt. Wichtig ist allein, dass derjenige, der politische Verantwortung trägt, es kann und menschlich in der Lage ist, das Beschlossene zu vermitteln.

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Interview im Rahmen eines Schulprojektes mit Schülerinnen und Schülern des Lingemann-Gymnasiums Heiligenstadt

Thematik : „Schuluniformen kontra Designerklamotten – Vom Markenwahn zum vereinheitlichten Klassenzimmer“

Sicherlich ist auch Ihnen bereits die Problematik des Markenwahns an deutschen Schulen aufgefallen. In wiefern äußert sich dieser Markenzwang unter den Schülern Ihrer Meinung nach?
Auch ich stelle fest, dass die sehr unterschiedliche soziale bzw. finanzielle Situation von Eltern und Schülern sich in einer Schule oder Schulklasse durch die unterschiedliche Bekleidung zeigt.
Ich finde, da muss insgesamt mehr Verantwortung übernommen werden. Es dürfen sich nicht so große soziale Unterschiede über die Kleidung bemerkbar machen.
Denken Sie, dass Markenwahn eine Ursache für Mobbing ist?
Normalerweise muss man jedem Schüler, jedem Menschen gegenüber gleich auftreten, unabhängig davon, woher er kommt, welche Kleidung er trägt, welche Haarfarbe oder welches Aussehen er hat. Natürlich gibt es auch gerade bei Schülerinnen und Schülern den Versuch, die Kleidung zum Anlass zu nehmen, andere zu beleidigen oder unter Druck zu setzen. Das kann also auch eine Ursache für Mobbing sein.
Sehen Sie Schuluniformen als eine geeignete Lösung für Markenwahn?
In Deutschland haben wir das Problem, dass überhaupt keine Tradition bezüglich der Schuluniform besteht. Es gibt Länder wie Großbritannien, in denen Schuluniformen zur Tradition zählen. Dort entsteht Gemeinschaft über die Schuluniform.
Es ist schwer, Schuluniformen einzuführen, wenn dies keine Tradition hat. Man muss also eher versuchen, die jetzige Situation durch Gespräche zwischen Lehrern, Eltern und Schülern zu regeln.
Wie stehen Sie zu Schuluniformen?
Finden Sie, dass die Pro- oder Contraseite überwiegt?
Im Moment auf jeden Fall die Contra-Seite.
Es gab vor Jahren bereits eine Debatte in Bezug auf Schuluniformen. Und sie hat bisher keinen Durchbruch pro Schuluniform erreicht.
Es gibt positive Argumente für Schulkleidung, z.B. dass jede Art von Benachteiligungen durch Kleidung ausbleiben, aber im Moment steht das Contra eindeutig vor dem Pro.
Muss man Ihrer Meinung nach Unterschiede im Bezug auf die Sichtweise der Schüler zwischen Haupt-, Realschule und Gymnasium machen?
Nein, wenn sich Schuluniformen etablieren würden, sollte man dies schulbezogen nicht Schulortbezogen machen. Es geht auch um die Identifizierung mit der eigenen Schule und die Eigenwerbung der Schule.
Haben Sie eventuell von bereits bestehenden Schuluniform-Projekten gehört und finden Sie, dass diese Projekte die Diskussion um Schuluniformen vorantreiben?
Ja, aber nur über die Akzeptanz bei Schülerinnen und Schülern sowie bei Eltern und Lehrern kann sich so ein Projekt durchsetzen. Denn ein solcher Beschluss darf nicht durch politische Entscheidung getroffen werden.
Wie steht das Land Thüringen der Thematik der Schuluniformen gegenüber?
Vor Jahren, als ich noch Kultusminister war, habe ich mit dem Thema zu tun gehabt.
Ich sage noch einmal, die Politik kann an dieser Stelle nur helfen, eine Diskussion zu fördern.
Wenn die Idee in einer Schule wie dem Lingemann-Gymnasium wächst, hilft dies sicherlich die Diskussion insgesamt voranzutreiben.
Der Begriff Dress Code charakterisiert eine vorgegebene Kleidungsordnung an Schulen. Sehen Sie dies als geeignete Alternative zu Schuluniformen?
Na ja , das ist eine moderne Form und wäre auch sicherlich eine Alternative zur Schuluniform im klassischen Sinn, aber auch das widerspricht unserer Tradition.
Wie könnte Ihrer Meinung nach ein solcher Dress Code aussehen?
Dieser müsste modern sein. Insofern ist hierbei die Politik nicht gefragt. Schüler sind gefragt, eine solche Debatte zu führen.

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 Ministerpräsident Althaus mit den Schülern
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Die Demokratie ist stark genug, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen.

Interview DeutschlandRadio (Moderator Jörg Degenhardt) am 9. Februar 2005 mit Ministerpräsidenten Dieter Althaus:
Der politische Aschermittwoch hat in diesem Jahr schon am letzten Sonntag begonnen. Da erklärte der bayerische Ministerpräsident in einem Interview, und er hat es inzwischen wiederholt: Die Arbeitslosigkeit, verursacht durch das ökonomische Versagen der Regierung Schröder, sei Schuld am Wiedererstarken der NPD. Die Reaktionen aus Berlin fielen entsprechend deutlich aus. Seitdem diskutiert die Republik über die Ursachen für die Wahlerfolge der Rechtsextremen und den richtigen Umgang mit ihnen. Und das kann ja nicht schaden, wenn am Ende der öffentlichen Debatten entsprechende Konsequenzen stehen. Die Frage ist nur, welche? Darüber möchte ich reden mit dem Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen, Dieter Althaus, CDU, er ist auch Mitglied im Verein "Gegen Vergessen - Für Demokratie". Zunächst, wo sehen Sie, Herr Althaus, die Hauptursache für den Zulauf, den NPD und DVU bei den letzten Wahlen erhalten haben?
Althaus: Es gibt sicherlich eine ganz einfache Lösung für diese Frage. Natürlich hat es auch mit der ökonomischen Situation - besonders in Sachsen und in einigen Regionen Sachsens zu tun. Aber es hat auch damit zu tun, dass es insgesamt eine ganze Reihe von protestverstärkenden Entwicklungen gegeben hat in den letzten Jahren. Besonders junge Menschen, besonders junge Menschen - mit niedrigerem Bildungsniveau - sind anfällig für diese Ideen und Ideologien, die insbesondere die Rechtsradikalen als einfache Antworten für gesellschaftliche Problemlösungen geben.
Degenhardt: Also teilen Sie die These von Edmund Stoiber nicht?
Althaus: Dass das sicher ein verstärkender Punkt ist, kann man schon sagen. Nur wenn man im Detail die Ergebnisse sich anschaut, kann man feststellen, dass Gebiete, wo eine geringere Arbeitslosigkeit ist, durchaus zum Teil eine höhere rechtsradikale Bewegung haben. Insofern ist das keine einfache Eins zu Eins Rechnung, dass man nur an der Höhe der Arbeitslosigkeit auch die rechtsradikalen Stimmen ablesen kann.
Degenhardt: Aber welche Erklärung haben Sie dafür, dass die von Schröders Politik enttäuschten nicht Ihre Partei, die CDU wählen?
Althaus: Das ist ja genau das Problem, dass es insgesamt schwierige politische Frage zu beantworten gilt, wie wir uns in der Globalisierung besser aufstellen, wie wir zu mehr Wirtschaftswachstum kommen. Und die rechtsradikalen Parteien, im Übrigen auch andere Parteien im Spektrum haben sehr einfache Antworten. Diese einfachen Antworten funktionieren zwar nicht, aber sie sind erstmal sehr eingängig. Deshalb glaube ich, ist es sehr wichtig, sich sehr konsequent mit den Ideen und mit den Parolen auseinander zu setzen und auch diese inhaltliche Auseinandersetzung auf allen Ebenen der politischen Diskussion, aber auch im privaten Bereich umsetzen.
Degenhardt: Wen meinen Sie denn mit anderen Parteien? Wenn Sie die PDS meinen sollten, kann man deren Populismus vergleichen mit dem der Rechtsaußenparteien?
Althaus: Ob man die vergleichen kann, das will ich gerne diskutiert wissen. Aber es ist schon bedenklich, dass auch die PDS häufig sehr einfache Parolen für gesellschaftlich komplizierte Problemlagen gibt. Das zeigt sich ganz besonders im Wahlkampf, besonders dass die PDS auch für die Alternative der Gesellschaft eintritt. Das heißt, dass sie nicht für die soziale Marktwirtschaft in der jetzigen Form ist, für die Demokratie in der jetzigen Form ist und auch in der Globalisierung mit den Herausforderungen. Sie meint, der Staat könnte sehr viel stärker eingreifen und ordnend das Ganze in eine andere Richtung bewegen.
Degenhardt: Hilft uns ein Parteienstreit über die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus? Oder dient er nicht eher den Rechtsaußenparteien, weil es bedeutet ja auch Werbung für DVU und NDP?
Althaus: Also, man muss beides tun. Man muss sicherlich sich stark und deutlich auseinandersetzen. Aber ich glaube, man muss auch deutlich machen, dass nicht durch ständige Diskussion über rechtsradikale Gedanken und rechtsradikale Parteien der Eindruck entsteht, dass in Deutschland hier eine Überdimensionierung vorherrscht, die nicht mehr zu bewältigen ist. Die Demokratie ist stark genug, sich mit dem Problem auseinander zu setzen. Was wir sicher tun müssen, ist konsequent diese Parteien, wenn es mehrere sind, jetzt in dem Fall die NPD und ihre Ideologien stigmatisieren. Wir müssen eine klare inhaltliche Auseinandersetzung pflegen. Wir müssen den polizeilichen Verfolgungsdruck da wo - möglich erhöhen und wir müssen im besonderen bei jungen Menschen uns auch mit den Ideen auseinandersetzen. Das heißt die Ursprünge und Entwicklungen - auch die Folgen des Nationalsozialismus klar diskutieren, damit es nicht nur zu pauschalen Bekenntnissen kommt gegen den Rechtsextremismus - sondern damit diese Bekenntnisse auch durch konkretes Wissen unterlegt sind.
Degenhardt: Auf Initiative Brandenburgs wird sich am Freitag die Innenministerkonferenz mit einem möglichen zweiten Anlauf zu einem NPD-Verbot befassen. Welche Chancen geben Sie denn einem erneuten Antrag?
Althaus: Falls ein NPD-Verbot wirklich umsetzbar ist, sollte man natürlich rechtsradikale Parteien - wie die NPD - verbieten. Das entzieht uns aber nicht der deutlichen inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Ideen und Ideologien. Deshalb glaube ich, müsste das wirklich erst exakt vorbereitet werden, damit ein solcher juristischer Weg am Ende auch erfolgreich begangen werden kann. Ein zweiter Fehlversuch wäre katastrophal und würde die NPD noch mehr stärken.
Degenhardt: Könnten Sie sich vorstellen, Herr Althaus, dass Ihr Bundesland, dass der Freistaat Thüringen, eine Bundesratsinitiative unterstützt, in der es darum geht, Aufmärsche der Rechtsextremen an sensiblen Orten zu vermeiden?
Althaus: Einen solchen Vorschlag haben wir ja schon eingebracht. Und ich halte das schon für wichtig, dass besonders sensible Orte, die auch für besondere Geschichtsdaten stehen, nicht von rechtsradikalen missbraucht werden. Ich könnte mir vorstellen, das sind Orte, wo zum Beispiel in der Nähe ein Konzentrationslager war oder wie in Weimer, Orte wie der Platz vor dem Deutschen Nationaltheater. Da gibt es sicher Orte, die man schützen sollte vor Aufmärschen von Rechtsradikalen.
Degenhardt: Die NPD wird wegen ihrer Wahlerfolge im letzten Jahr, also 2004, einen Staatszuschuss von rund 650.000 Euro erhalten. Etwa doppelt so viel, wie im Vorjahr. Muss man da nicht auch das Parteiengesetz ändern?
Althaus: Nein, also da würde ich schon sagen, wenn wir unser Parteiengesetz diskutieren, müsste man ja letztlich die Wählerstimmen differenziert bewerten. Das funktioniert sicher nicht. Entweder wir schaffen es durch eine gute juristische Vorbereitung, die NPD zu verbieten, oder wir müssen uns innerhalb des demokratischen Spektrums und auch innerhalb des demokratischen Prozederes mit dieser Partei auseinandersetzen. Da kann man nicht differenziert vorgehen, denn die Wählerstimmen sind abgegeben und haben deshalb auch ihre entsprechende Wirkung.
Degenhardt: Die Rechtsextremen sind bereits in die Mitte der Gesellschaft eingedrungen, diese Herausforderung müssen wir annehmen, so die Einschätzung von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Würden Sie auch soweit gehen?
Althaus: Was heißt in die Mitte der Gesellschaft? Das ist, glaube ich, etwas zu weitgehend formuliert. Das hieße ja, dass eine große Zahl von Menschen dem rechtsextremen Gedankengut anhängt. Das kann ich nicht erkennen. Ganz im Gegenteil. Aber wir müssen die Herausforderung der Ideen und Ideologien ernst nehmen und auch annehmen und das heißt, alle Wege gehen, die juristischen Wege, die polizeilichen Wege. Aber ganz besonders ist die Auseinandersetzung mit den Gedanken und Ideen. Und ich glaube, sehr wichtig ist es, bei jungen Menschen damit zu beginnen, schon in den Schulen, damit der Auftrag, den menschenverachtenden Charakter der Ideologien deutlich zu machen an konkreten Beispielen und in den Schulen vermittelt wird, damit relativ frühzeitig auch alle Ideen und die Folgen dieser Ideen stigmatisiert werden.

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Interview DeutschlandRadio Berlin zur Förderalismusreform:

Herr Althaus, sind Sie denn guter Dinge, dass bis Freitag alle Streitpunkte vom Tisch sind?
Althaus: Ja, ich hoffe, dass wir morgen Abend in Berlin auch als Ministerpräsidenten die offenen Fragen so klären können, dass dann zwischen Herrn Müntefering und Herrn Stoiber wirklich Einigungen erzielt werden können. Wichtig ist, dass der Bund sich noch bewegt, denn hier liegen noch einige Nachprobleme.
Welche Punkte sind Ihnen denn so wichtig, dass Sie sagen, wenn wir da keinen Konsens hinkriegen, dann ist die Reform allerhöchstens ein Reförmchen, wenn nicht gar gescheitert?
Althaus: Also wir stehen schon an einer Weichenstellung, bei der beides möglich ist: Sackgasse oder Weg in die Zukunft. Entscheidend ist, dass wir bei den Finanzfragen, gerade auch die neuen Länder, eine vernünftige zukunftsfähige Lösung finden. Da geht es um den Solidarpakt, insbesondere um den so genannten Korb II.
Sie wie auch Ihre anderen Ministerpräsidentenkollegen im Osten fordern ja die Verankerung des Solidarpaktes im Grundgesetz. Sehen Sie die Interessen der ostdeutschen Länder ansonsten unter die Räder kommen?
Althaus: Wir haben ja in den letzten Jahren gespürt, wie auch bei den Gemeinschaftsaufgaben Reduzierungen vorgenommen worden sind. Der Solidarpakt ist verhandelt bis zum Jahr 2019. Wir brauchen ihn, um die teilungsbedingten Lasten gemeinsam zu überwinden, und dazu gehört auch der so genannte Korb II mit immerhin rund 51 Milliarden Euro. Wenn wir ihn jetzt nicht im Grundgesetz verankern, dann besteht die Gefahr, dass er in den nächsten Jahren, wenn Haushalte problematisch gestaltet werden können, doch nicht umgesetzt wird. Deshalb muss eine verfassungsrechtliche Verankerung erfolgen.
Aber wenn Ost- und Westländer, Große und Kleine oder Arme und Reiche ihre ganz speziellen Interessen formulieren, wie will man dann eine Radikalreform zu Stande bringen?
Althaus: Nein, wir sind uns da einig, auch als Ministerpräsidenten, mit den Kollegen in den alten Ländern. Das ist ja eine Verhandlung, die schon vor einigen Jahren geführt worden ist, und das Wesentliche ist, dass die Länder insgesamt ja zugestimmt haben bisher, dass die zustimmungspflichtigen Gesetze von immerhin über 60 Prozent auf um die 30 Prozent sinken. Das heißt, dass die Flexibilität und die Handlungsfähigkeit des Bundes zunimmt, das war ja auch das große Ziel. Deswegen muss im Gegenzug auch für die Länder ein entsprechendes Regelwerk abgeschlossen werden. Dazu gehört im Übrigen auch die volle Zuständigkeit für Bildung, und dazu gehört auch die umfassend Zuständigkeit für Hochschulen.
Sie haben es erwähnt, die Zahl der im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze von jetzt 60 Prozent soll halbiert werden. Berauben sich aber so nicht die Länder wichtiger Einflussmöglichkeiten, wenn sie hier Kompetenzen an den Bund abgeben?
Althaus: Zum Ersten, ganz am Ende wird entschieden, wir werden also keinem Teilergebnis zustimmen. Aber zum Zweiten, darum geht es ja genau, dass die Bundespolitik schneller und flexibler reagieren kann, dass die gegenseitige Abhängigkeit über den Bundesrat deutlich minimiert wird und dass damit auch der Vermittlungsausschuss deutlich weniger Möglichkeiten hat, bestimmte Gesetze vollständig zu verhindern. Das soll sein, damit auf der einen Seite die Länder auch ihre eigenen Zuständigkeiten gestärkt sehen.
Sie haben die Bildung schon angesprochen. Da möchte ich noch mal drauf zu sprechen kommen. Soll nicht der Bund nach den schlechten Ergebnissen der PISA-Studie mehr Mitwirkungsmöglichkeiten bekommen, oder soll alles bei den Ländern bleiben, auch in der Frage der Hochschulpolitik?
Althaus: Auf den ersten Blick scheint das nur so. Wenn PISA im Detail analysiert wird, zeigt sich sicherlich auch bei dieser Studie, dass die Länder große Unterschiede haben. Deshalb müssen Länderpolitiken dafür sorgen, dass die Bildungsqualität in den Ländern deutlich verbessert wird. Wir wissen, dass der Unterschied zwischen Bayern, Japan und Finnland geringer ist als der Unterschied zwischen Bayern und Bremen. Das zeigt die große Spannbreite innerhalb Deutschlands. Also keine Nationalisierung der Bildungspolitik, sondern die Wahrnehmung der Verantwortung in den Ländern. Das ist, glaube ich, das Ergebnis von PISA.
Als Grundfehler der Föderalismuskommission hat der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog kritisiert, dass man sich von vorne herein darauf geeinigt hat, nicht über die Finanzverteilung von Bund und Ländern zu reden. Muss denn jetzt als Nächstes über das Geld geredet werden?
Althaus: In dieser Sitzungsreihe sicher nicht. Ich hoffe, dass wir am Freitag ein Gesamtergebnis erzielen über das, was wir uns vorgenommen haben. Ob man später auch über die Finanzverfassung reden kann, weiß ich nicht. Ich wäre offen für eine solche Diskussion. Das hieße dann aber, dass man sowohl die Steuerrechtsfrage für die Länder neu diskutiert als auch die Frage des Länderfinanzausgleichs. Ich halte es aber jetzt für gut, dass alles vor die Klammer gezogen worden ist, denn wir haben große Unterschiede in der finanziellen Ausstattung der Länder, und wenn man dieses Thema mit auf die Tagesordnung gesetzt hätte, wäre die Veranstaltung sehr viel komplizierter geworden.
Stand etwa nicht auch die Angst, dass möglicherweise die kleineren Länder, die Ostländer und die finanzschwächeren Länder vielleicht über den Tisch gezogen werden von der anderen Seite?
Althaus: Über den Tisch gezogen sicher nicht, aber wir brauchen erst mal einen gewissen Ausgangswert, auf dem wir auch miteinander in den Wettbewerb treten. Ich bin für diesen föderalen Wettbewerb, und ich glaube auch, dass wir in einem nächsten Gang dann über Finanzfragen sprechen können. Aber die nächsten Jahre sollten wir erst einmal nützen, die Inhaltsfragen besser klären zu können in Eigenverantwortung als Länder und auch als Bund. Wir müssen dann sehen, wie sich die föderale Ordnung grundsätzlich weiterentwickelt.
Vielen Dank für das Gespräch. 
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Streichung des 3. Oktober ist abwegig

Tag der Deutschen Einheit: Freizeit oder Gedenken? NDR Info-Interview mit Ministerpräsient Dieter Althaus am 04.11.2004, 07.20 Uhr
Der Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober ist ein bundesweiter Feiertag. Noch. Angeblich erwägt die Bundesregierung, den Feiertag vom Datum 3. Oktober zu entkoppeln und stets auf einen Sonntag zu legen. Finanzminister Eichel will das heute voraussichtlich bekannt geben. Damit gäbe es einen Arbeitstag mehr pro Jahr, 0,1 Prozentpunkte mehr Wirtschaftswachstum und Millionen Euro zusätzliche Steuereinnahmen. Ideal für Eichels Haushaltslücken. Aber es regt sich Widerstand. Der frühere DDR-Bürgerrechtler Günter Nooke von der CDU bezeichnete Kanzler und Finanzminister als Vaterlandsverräter.
Fragen dazu an Dieter Althaus von CDU, er ist Ministerpräsident von Thüringen.
NDR Info: Herr Althaus, geben Sie Ihrem Parteikollegen Nooke Recht?
Althaus: Herr Nooke hat sicher eine sehr deutliche Formulierung gewählt, aber im Prinzip ist es vollkommen abwegig, eine solche Streichung vorzunehmen. Kein Land der Welt würde einen solchen nationalen Feiertag aufgeben. Die Bundesregierung muss endlich aufhören, an Symptomen herumzudoktern. Deutschland braucht Reformen, damit wir wieder Wachstum und Beschäftigung haben, und wenn diese Reformen nicht in Gang gesetzt werden, dann muss man auch nicht versuchen mit ganz kleinen Maßnahmen, die dazu noch abwegig sind, diese Entwicklung zu korrigieren.
NDR Info: Warum abwegig? Der Tag der Deutschen Einheit würde ja nicht abgeschafft, sondern nur verlegt und die Bundesregierung, die fragt sich jetzt: Geht’s jetzt bei dem Tag der Deutschen Einheit um Freizeit oder um Gedenken. Hat Sie mit dieser Frage nicht Recht?
Althaus: Es geht um Gedenken. Es geht um Gedenken an die Deutsche Einheit. Dass diese Bundesregierung wenig von der Deutschen Einheit hielt ist mir bekannt, aber wir alle, und da schließe ich mich ein, waren begeistert, dass dieser 3. Oktober in Deutschland möglich geworden ist. Und er sollte als nationaler Gedenktag auch an diesem Tag gefeiert werden. Und ich habe in diesem Jahr in Erfurt bei der zentralen Feier erlebt, wie viele Menschen nicht nur aus Thüringen, sondern aus ganz Deutschland, das ganz genauso sehen, und insofern hoffe ich sehr, dass es zu einer solchen unsinnigen Regelung nicht kommt.
NDR Info: Welchen Beitrag könnte denn Ihr Bundesland sonst noch leisten, damit es weiter aufwärts geht mit der Wirtschaft und mit dem Wachstum?
Althaus: Der wichtigste Beitrag wäre eine andere Regierung in Deutschland, damit wir endlich das tun, was notwendig ist. Alle Länder der Welt, auch insbesondere unsere europäischen Nachbarn, sind derzeit dabei, ihre Steuerrechte international marktfähig aufzustellen. Wir tun nichts und denken nur an Europa an dieser Stelle. Zweitens müssen wir dringend die Sozialstaats- und die Arbeitsmarktreform weiter vorantreiben. Alle diese Punkte sind entscheidend für Wachstum und Beschäftigung, aber wenn man nur an so ganz kleinen Symptomen versucht herumzudoktern, wird man nicht wirklich Wachstum und Beschäftigung organisieren.
NDR Info: Warum schafft es denn Ihre Partei, die CDU, nicht, sich mit diesen Punkten auch tatsächlich durchzusetzen, sondern gibt stattdessen am laufenden Band ein zerstrittenes Bild ab?
Althaus: Na gut, bei Steuern und beim Arbeitsmarkt sind wir einig. Wir haben bei der Gesundheitsreform noch einen dringenden Handlungsbedarf, aber trotzdem sind wir bei den wesentlichen Reformen für Deutschland einig. Es geht wieder um Wachstum und Beschäftigung. Wir haben nur auf der anderen Seite derzeit überhaupt keine Möglichkeit dieses umzusetzen, da wir nicht die Mehrheit im Bundestag haben und deshalb macht es auch keinen Sinn, jetzt sozusagen bei der Union den Ausweg zu suchen. Den Ausweg muss die Regierung gehen. Dass man aber den 3. Oktober überhaupt in die Diskussion bringt, zeigt, wie wenig identitätsbewusst auch diese Bundesregierung denkt. Die Deutschen brauchen, gerade auf Grund ihrer Geschichte, auch einen Tag, an dem sie ihre Identität fördern und auch herausgefordert sind. Und da ist für mich der Tag der Deutschen Einheit, der 3. Oktober, der beste Tag, der sich bietet.

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Deutschlandfunk-Interview

Es mag einigen jedenfalls so vorkommen, als hätten manche in der Union nur auf die erste Schlappe des Jahres gewartet. Kaum waren die massiven Verluste bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg eingefahren, da stand auch schon die Führungsqualität von CDU-Chefin Angela Merkel im Mittelpunkt der Kritik. Eine Kritik verbunden mit der Frage: Welchen politischen Kurs fahren die Unionsparteien derzeit? Zum zweiten spielt dabei wieder einmal die K-Frage mit. Auch in den Internetforen der Partei rumort es heftig. Von pro Stoiber über kontra Merkel bis zu pro Koch, das Ganze aber auch freilich umgekehrt.
Die Meinungsforschungsinstitute signalisieren inzwischen das Rennen um 2006. Das ist wieder offen und der Kanzler ist definitiv noch nicht geschlagen. Bayerns Innenminister Günther Beckstein bringt das ganze so auf den Punkt: Im Schlafwagen kommt man nicht an die Macht.
Am Telefon sind wir nun verbunden mit Dieter Althaus, christdemokratischer Ministerpräsident von Thüringen. Guten Morgen!
Guten Morgen, Herr Müller!
Herr Althaus, wer hat denn alles in der Union geschlafen?
Ich glaube, wir haben etwas unterschätzt, dass wir nicht nur durch die Schwäche der SPD stark sein können. Wir müssen darauf achten, dass die inhaltlichen Konzepte, die wir uns erarbeitet haben, auch mit Geschlossenheit vertreten werden.
Frau Merkel hat ja am Sonntag, am Wahlabend, selbst noch davon gesprochen: Wir müssen Kurs halten. Haben sich dann viele gefragt, auch die Kommentatoren in den Zeitungen am nächsten Tag: Welchen Kurs meint sie denn da? Wissen Sie es?
Das ist genau der Punkt: Wir haben im letzten Jahr in Leipzig zum Beispiel zur Sozialstaatsreform umfassende Beschlüsse gefasst, die sind in allen wichtigen Fragen eindeutig. Natürlich gibt es noch Streit mit der Schwesterpartei, aber für die CDU liegt die Linie fest. Und trotzdem gibt es dann auch wieder aus der Führung Querschüsse - und das kann nicht sein. Und wir müssen deshalb bis zum Parteitag in Düsseldorf die Zeit nutzen, um die offenen Fragen auch mit der CSU zu klären. Und bei diesem Parteitag muss klar werden, dass wir ein Gesamtkonzept für Deutschland haben, das wir in einem Zukunftsgesetz für Deutschland umsetzten - für den Fall, dass wir die Regierung in Deutschland übernehmen. Denn die Alternative wird nur wirklich wahrgenommen, wenn wir sie auch als Alternative formulieren. Das heißt, wenn sie die Führung formuliert und wenn auch die Führung insgesamt zu dieser Alternative steht.
Herr Althaus, was sind das für Querschüsse?
Ich kann es letztlich natürlich nur individuell bewerten: Ich glaube, es liegt zum einen daran, dass es sicher auch kritische Nachfragen zu den Inhalten gibt, die wir festlegen. Aber wenn wir uns mehrheitlich geeinigt haben, finde ich, gilt das für die Partei. Zum zweiten gibt es immer wieder Vorstöße zu noch umfassenderen Reformen. Ich denke nur an den Arbeitsmarkt, dass der Kündigungsschütz vollkommen abgeschafft werden soll. Das sind unsinnige Weiterungen, die mit Recht die Menschen nur verunsichern und deutlich machen, dass wir möglicherweise mehr über soziale Zumutung statt über den Kurs auf Wachstum zu mehr Arbeitsplätzen kommen. Und dann gibt es drittens möglicherweise auch machtpolitisch motivierte Querschüsse. All das ist unsäglich, denn wir wollen 2006 für Deutschland die Verantwortung wieder übernehmen. Und wenn das das oberste Ziel ist, dann müssen sich auch alle in der Partei, die in Verantwortung stehen, diesem obersten Ziel unterordnen.
Man mag es ja kaum glauben, muss man da wieder sagen. Die Öffentlichkeit hat ja offenbar zunächst einmal genug vom Personalstreit, von den Personalquerelen um die potentielle Führung der Union. Aber Sie sagen ganz klar: Das ist immer noch nicht ausgetragen, das schwelt immer noch im Hintergrund.
Nun ist sicher klar, wenn die Kanzlerkandidatur erst Anfang 2006 entschieden wird, dass es auch da unterschiedliche Auffassungen gibt. Aber auf dem Weg dahin, finde ich, müssen diejenigen, die die Parteien führen, also CDU: Angela Merkel, CSU: Edmund Stoiber, mit ihrer Verantwortung auch die Inhalte vertreten, auf die wir uns geeinigt haben. Und jeder, der dann in der nächstfolgenden Reihe versucht, an diesen vorbei andere Inhalte zu popularisieren, schadet dem Gesamtbild, schadet der klaren Alternative und bringt ganz eindeutig auch damit Rot-Grün wieder in die Vorhand.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Bayern es offenbar noch nicht begriffen haben?
Wir haben einen offenen Punkt. Wir haben einen wichtigen Punkt, das ist die Gesundheitsversicherung - wie wir hier in die Zukunft gehen. Das darf nicht zu einer Personalfrage werden. Hier geht es um einen Sachstreit. Und diesen Sachstreit müssen wir sehr zügig ausräumen. Wenn dahinter noch andere Argumente eine Rolle spielen, halte ich das für nicht zielführend. Wir müssen, wie gesagt, auf 2006 hin, spätestens ab dem Parteitag in Düsseldorf in dieser Geschlossenheit auch als Gesamtformation erkennbar sein. Nur dann können wir unsere Alternative zur Regierungspolitik auch darstellen.
Herr Althaus, reden wir noch einmal ganz kurz über Stichworte im inhaltlichen Bereich. Also Gesundheitspolitik, das haben Sie angesprochen, Sozialpolitik im weiteren Feld, dann Arbeitsmarktpolitik. Natürlich in diesem Zusammenhang auch Hartz IV. Kann das sein, warum die Partei sich jetzt so schwer tut - im Grunde haben es ja die Wahlen erst gezeigt vorher, das haben Sie selbst gesagt, ist das im Grunde verdeckt worden ein wenig auch durch die Schwäche der Bundesregierung -, kann es sein, dass diese Punkte, die wir hier gerade genannt haben, in der Partei tatsächlich nicht ausreichend genug und lang genug diskutiert worden sind?
Mag sein, dass sich nicht jeder mit der Reform wirklich befasst hat. Wir haben das getan und wir haben uns nach der Diskussion zu dem Weg entschlossen, diese Hartz IV-Reform zu unterstützen. Nicht weil wir alle Details zu hundert Prozent unterstützen, aber weil wir von dem Gesamtweg überzeugt sind. Wir haben vorgeschlagen, die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe zusammenzulegen. Wenn also ein solcher Entschluss gefasst wird, gilt auch: Dort muss die Partei stehen. Das heißt nicht, dass wir die Fehler, die die Bundesregierung bei der Umsetzung macht, tolerieren. Ganz im Gegenteil. Aber zum Inhalt muss man stehen und ihn auch vermitteln. Denn es geht auch bei dieser Reform darum, den Arbeitsmarkt zu öffnen und zu mehr Wachstum und zu mehr Beschäftigung zu kommen.
Hat das die CDU-Führung in Gänze getan?
Na ja, es hat von der Führung, wenn man die Spitze der Führung anschaut, eine klare Position gegeben. Aber dahinter ist schon zum Teil ein vielstimmiger Chor sichtbar geworden und der Eindruck vermittelt worden, als wenn wir uns, nach dem die Entscheidung gefällt worden ist, zum Teil in die Büsche schlagen. Das geht nicht, das ist unglaubwürdig. Denn diese Reform ist wichtig, um letztlich auch für den Arbeitsmarkt mehr Flexibilität zu bekommen. Und wir müssen die Fehler der Bundesregierung kritisieren, nicht aber den Inhalt der Reform.
Die Reformen sind radikal. Es sind radikale Einschnitte für die SPD-Klientel, so wie auch natürlich für die Unions-Klientel. Gibt es einen tatsächlichen Belichtungsstreit innerhalb der Christdemokraten?
Nein, den gibt es nicht. Ich glaube, auch mit der CDA - Hermann-Josef Arentz hat das deutlich gemacht - ist vollkommen klar der Weg beschrieben: Wir müssen in Deutschland endlich wieder Wachstum bekommen. Diese ganze Rhetorik, dass wir angeblich schon wieder auf einem aufstrebenden Ast sind, ist ja vollkommen an der Realität vorbei. Wir hinken in Europa hinterher. Die Arbeitslosigkeit nimmt faktisch zu - ob in Ost oder West. Und es beginnen Neiddebatten. Das heißt, wir müssen in Deutschland den Menschen und uns selbst klar machen: Nur über eine vernünftige Wachstumsstrategie werden wir auch sowohl wieder Arbeit schaffen als auch Sozialstaat sichern. Und das muss man vermitteln - und muss dazu auch dann die entsprechenden Reformen begründen und darf nicht immer so in Schubkastenform denken, sondern muss das Gesamtkonzept auch in den Mittelpunkt der Diskussion rücken.
Aber der Kündigungsschutz soll außen vorbleiben, nach Ihrer Sicht?
Ja, und genau da, meine ich, dürfen wir nicht uns selbst in Frage stellen. Wir wollen, dass durch einen differenzierten Kündigungsschutz, genauso wie bei anderen Fragen des Arbeitsmarktes, die Flexibilität im Unternehmen zunimmt. Damit für den Arbeitsmarkt entschieden werden kann und nicht gegen den Arbeitsmarkt, weil Kündigungsschutz dann noch mehr Arbeitsplätze kostet. Und deshalb muss man ihn flexibilisieren. Dann darf ihn aber nicht grundsätzlich in Frage stellen. Das ist ganz wichtig. Und ich glaube, diese Art der Übertreibung führt immer wieder dazu, dass die Union vielstimmig wahrgenommen wird. Ich kann nur dazu raten, dass wir bei unserem Gesamtkonzept bleiben: Arbeitsmarkt, Sozialstaat und Steuern müssen verändert werden in Deutschland - so, dass wir mehr individuelle Freiheit im Unternehmen bekommen und dass wir Anreize für mehr Wirtschaftentwicklung bekommen.
Dieter Althaus war das, Ministerpräsident von Thüringen, CDU.
Vielen Dank für das Gespräch! 
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